09.10.2017: Wenn in einer seismisch aktiven Region Städte wachsen und Bevölkerungszahlen steigen, erhöht sich das von einem Erdbeben ausgehende Gefährdungspotential stetig: Der zu erwartende Schaden an der Infrastruktur wird größer und der Verlust von Menschenleben wahrscheinlicher. Insbesondere Entwicklungsländer sind gefährdet, da hier Aspekte wie ein nicht-erdbebensicheres Bauen hinzukommen, die das Gefährdungspotenzial weiter erhöhen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des GFZ-Zentrums für Frühwarnsysteme haben nun zusammen mit dem Zentralasiatischen Institut für Angewandte Geowissenschaften (ZAIAG) in einer Fallstudie das erste seismische Netzwerk zur Erdbeben-Überwachung und Frühwarnung in Kirgisien und Kasachstan installiert.
Zentralasien ist weltweit eine der Regionen mit der größten seismischen Aktivität. Die Indische Platte schiebt sich mit einer Geschwindigkeit von vier bis fünf Zentimetern pro Jahr in Richtung Norden gegen die Eurasische Platte. Entlang dieser Kollisionszone kommt es immer wieder zu Erdbeben. Bisher gibt es in der Region nur vereinzelte seismische Stationen, ein umfangreiches Monitoring-Netzwerk zur Aufzeichnung von Erdbeben fehlt. Auch gibt es keine Stationen zur Registrierung starker Bodenbewegungen. So konnten Beben bisher weder detailliert überwacht noch Warnsysteme für die Bevölkerung installiert werden. Außerdem fehlen umfangreiche lokale Datensätze zur Erforschung der Erdbebenaktivität und Gefährdungslage.
Im Rahmen der Initiative ACROSS „Advanced Remote Sensing – Ground Truth Demo and Test Facilities“ und in Zusammenarbeit mit dem Zentralasiatsichen Global Change Observatory (GCO) des GFZ, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Kirgisien und Kasachstan nun das erste digitale seismische Echtzeit-Netzwerk für Zentralasien installiert.
Schon wenige Stationen ermöglichen die Erdbeben-Frühwarnung
Ziel war der Entwurf eines Netzwerk-Designs unter Einsatz minimaler Ressourcen, das auch für andere Regionen angewendet werden kann. Die Ergebnisse sind nun in der Fachzeitschrift Frontiers in Earth Science veröffentlicht. Bei der Positionierung der Messstationen wurde darauf geachtet, dass sie permanent sicher installiert sind und eine Infrastruktur zur Stromversorgung und digitalen Datenübertragung in Echtzeit bereitsteht. Ohne die Echtzeitübertragung könnte das seismische Netzwerk nicht für den Betrieb eines Frühwarnsystems eingesetzt werden, da das Warnsystem auf die seismischen Daten angewiesen ist.
In Zusammenarbeit mit dem kirgisischen Ministerium für Notfallsituationen wurden 19 Standorte für Starkbewegungs-Stationen eingerichtet, die möglichst nah an den optimal ermittelten liegen. In der kirgisischen Hauptstadt Bischkek wurden außerdem kostengünstige Gebäude- und Tiefensensoren in das Netzwerk integriert. Massimiliano Pitorre, Wissenschaftler am GCO: „Die enge Zusammenarbeit mit den Endnutzern des Systems vor Ort ist ein wichtiger Faktor für die erfolgreiche Installation und den späteren Betrieb des Netzwerks.“
Die seismischen Aktivitäten des Untergrunds werden mit der am GFZ entwickelten Software GFZ-Sentry ausgewertet. Aus den eingehenden Daten bestimmt die Software kritische Bewegungen und informiert einen Netzwerk-Operateur, falls die Daten auf ein Erdbeben mit hohem Gefährdungspotenzial hindeuten. Der Operateur entscheidet, ob eine Bebenwarnung ausgegeben wird, auf die dann die jeweiligen Behörden vor Ort reagieren können.
Das System befindet sich derzeit in der Testphase, doch schon jetzt konnte das Team zeigen, dass ein Netzwerk aus vergleichsweise wenigen seismischen Stationen einen großen Nutzen für die Frühwarnung hat. Das System soll nun zur Verbesserung und zu Forschungszwecken weiter begleitet werden. (ak)
Originalstudie: Parolai, S., Boxberger, T., Pilz, M., Fleming, K., Haas, M., Pittore, M., Petrovic, B., Moldobekov, B., Zubovich, A., Lauterjung, J., 2017. Assessing earthquake early warning using sparse networks in developing countries: Case study of the Kyrgyz Republic. Frontiers in Earth Science. DOI: 10.3389/feart.2017.00074