Die menschliche Nutzung des geologischen Untergrundes kann Erdbeben verursachen. Die Kontrolle dieser „induzierten Seismizität“ ist ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz der Energiewende. In den meisten Fällen sind induzierte Erdbeben weder spür- oder messbar. Sie können bei der Injektion oder Förderung von Flüssigkeiten auftreten, z. B. in Öl- oder Gaslagerstätten, bei der Brauchwasserentsorgung in Bohrungen oder in geothermischen Lagerstätten. In wenigen Fällen waren induzierte seismische Ereignisse stark genug, um Projekte zu stoppen (z.B. 2006 in Basel/Schweiz und 2017 in Pohang/Südkorea). Intensive Forschung hat in den letzten Jahren zu erfolgreichen Versuchen geführt, solche „Runaway Events“ (siehe Box unten) zu vermeiden. Das GFZ dokumentierte die erfolgreiche Kontrolle 2018 bei einem Geothermieprojekt in Helsinki. Marco Bohnhoff, Geophysiker und Leiter der GFZ-Sektion „Geomechanik und Wissenschaftliches Bohren“ sagt: „Der Schlüssel zur systematischen Vermeidung großer induzierter Erdbeben ist ein besseres Verständnis der zugrundeliegenden physikalischen Prozesse.“
In einer neuen Studie, die in den ‚Proceedings of the National Academy of Sciences‘ veröffentlicht wurde, berichten Dr. Lei Wang und seine Kollegen aus Bohnhoffs Sektion zusammen mit Forschenden der Universität Oslo, Norwegen, über zwei Schlüsselfaktoren bei „Runaway Events“: die Rauigkeit bereits bestehender tektonischer Störungen und die damit verbundene Spannungsheterogenität in geologischen Reservoiren.
Die Studie kombiniert numerische Modellierungsergebnisse mit neuartigen Experimenten zur Flüssigkeitsinjektion unter akustischer Überwachung, die im geomechanischen Labor des GFZ durchgeführt wurden. „Wir haben festgestellt, dass sich raue und glatte Verwerfungen in den Gesteinen während unserer Laborexperimente völlig unterschiedlich verhalten. Besonders spannend an unseren Beobachtungen war, dass wir zusehen konnten, wo genau sich mikroseismische Aktivität abspielt. Demnach kommt es während der Flüssigkeitsinjektion zu einer Spannungsübertragung bereits vor großen induzierten Ereignissen – und das können wir messen“, sagt der Erstautor Dr. Wang, der die Experimente und die Modellierung konzipiert und durchgeführt hat.
Die Erde im Labor: So liefen die Experimente
Die Rauigkeit bereits bestehender Störungen in geologischen Reservoiren in einigen Kilometern Tiefe ist schwer zu charakterisieren. Um die unzureichende Messgenauigkeit bei der Abbildung oder Überwachung solcher Verwerfungen in der Natur zu überwinden, hat die Forschungsgruppe sich Gesteinsproben ins Labor geholt und darin selbst Verwerfungen mit definierter Oberflächenrauigkeit erzeugt. Diese Gesteinsproben wurden dann mit Hilfe einer triaxialen Druckapparatur auf nahezu kritische Spannungszustände gebracht, um so die Prozesse in der Natur nachzustellen. Die Gesteinsproben waren mit mehreren Sensoren bestückt, darunter piezobasierte Labor-Seismometer zur Überwachung tausender winziger Erdbeben, so genannter akustischer Emissionen, die die Verformung im Inneren der unter Druck stehenden Gesteine anzeigen, bevor sie brechen. Anschließend wurde in die Proben Wasser injiziert, was die hydraulische Stimulation von geologischen Reservoirs simuliert.
„Die Kontrolle der Randbedingungen, die Reproduzierbarkeit und der Einsatz eines dichten Überwachungsnetzes im Labor ermöglichten es uns, die Entwicklung induzierter Erdbeben im Labor sowie auch langsame aseismische, also bebenfreie Verformungen abzubilden. Wir konnten Schlüsselparameter wie Verwerfungsgleiten und Gleitrate messen. So erhielten wir ein umfassendes Bild, um die Physik der durch Injektion induzierten Seismizität besser zu verstehen“, sagt Georg Dresen, Professor in der GFZ-Sektion Geomechanik und wissenschaftliches Bohren, der die Studie leitete und initiierte.
Wichtige Implikationen für Ereignisse in der Natur
Im Vergleich zu glatten Verwerfungen führt injektionsinduziertes Gleiten auf rauen Verwerfungen zu einer räumlich konzentrierten Anhäufung akustischer Emissionen, die in der unmittelbaren Umgebung kritisch gespannter Bereiche auftreten. Dort sind die induzierten lokalen Gleitraten höher, begleitet von einer relativ höheren Anzahl großer Ereignisse.
Die Flüssigkeitsinjektion reaktiviert diese Verwerfungsbereiche zunächst durch langsames, aseismisches Gleiten und verursacht nur wenige und kleine seismische Ereignisse. Danach folgt eine immer stärkere räumliche Konzentration der Mikrobeben, die schließlich zu großen induzierten Ereignissen (Runaway-Events) führt.
„Diese Studie hat wichtige Implikationen für induzierte Erdbeben in der Natur: Wenn Fluidinjektionen in geologischen Reservoiren in Echtzeit überwacht werden, können solche Lokalisierungsprozesse vor der Entstehung größerer induzierter Ereignisse erkannt und vermieden werden – ein entscheidender Schritt hin zur sicheren Nutzung geologischer Reservoire“, sagt Marco Bohnhoff.
Ähnlichkeiten zwischen akustischen Ereignissen im Labor und induzierten und natürlichen Erdbeben
Um die Relevanz der Laborexperimente für Erdbeben in geologischen Reservoiren weiter zu untersuchen, haben die Autoren eine Vielzahl von Datensätzen zur induzierten Seismizität zusammengestellt und die seismische Energie als Funktion der ins System eingebrachten hydraulischen Energie bei Laborexperimenten und im Reservoir-Maßstab auf der ganzen Welt untersucht. Der Wert der seismischen Injektionseffizienz, also dem Verhältnis zwischen der bei Erdbeben freigesetzten Energie und der hydraulischen Energie, unterscheidet zwischen druckgesteuerten seismischen Ereignissen und Runaway-Events.
Im Gegensatz zu Runaway-Events mit hoher seismischer Injektionseffizienz weist nämlich die ungefährlichere schwache induzierte Seismizität, die einen ausgedehnten druckgesteuerten Bruch zeigt, in der Regel eine viel geringere seismische Injektionseffizienz auf. Dr. Wang betont, dass „unsere Laborbeobachtungen Ähnlichkeiten mit den im Feldmaßstab induzierten Erdbeben aufweisen, die druckgesteuerten Brüchen entsprechen, was sich in der Tatsache widerspiegelt, dass in unseren Experimenten die Seismizität kurz nach Beendigung der Flüssigkeitsinjektion endet“.
Ziel: Kontrolle und letztlich Vermeidung spürbarer induzierter Seismizität
Die Studie ist Teil einer kürzlich gestarteten Forschungsinitiative, die darauf abzielt, induzierte Erdbeben in geologischen Reservoiren und langfristig schließlich auch große katastrophale natürliche Erdbeben besser vorherzusagen. Teil dieser Initiative ist es, die Prozesse aus dem Feldmaßstab in das Labor zu bringen, wo die steuernden Parameter kontrolliert und die Prozesse, die zu seismischen Ereignissen führen, reproduziert werden können. Marco Bohnhoff fasst zusammen: „Erst neuartige Ansätze der Prozessierung der Messdaten, auch unter Einsatz Künstlicher Intelligenz, und die Anwendung klassischer seismologischer Methoden zur Analyse von Erdbeben auf Labordaten bilden die Grundlage, um die Gesteinsdeformationsprozesse und letztlich Erdbeben genauer zu verstehen. Studien wie die jetzt von Wang und seinen Co-Autoren machen Hoffnung und bergen das Potenzial, vom Menschen verursachte seismische Gefahren zu entschärfen. Dies ist letztlich eine Grundvoraussetzung für die Akzeptanz der Nutzung des geologischen Untergrunds im Kontext der Energiewende.“
Originalstudie:
Wang et al. ‘’Fault roughness controls injection-induced seismicity’’, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 121, e2310039121, (2024). (https://doi.org/10.1073/pnas.2310039121)
Box: Runaway Event
Große Teile der Erdkruste stehen unter Spannung, selbst wenn dort keinerlei Erdbeben dokumentiert sind. Außerdem gibt es Schwächezonen im steinernen Untergrund, so genannte Störungen, und bereits bestehende Brüche.
Energie, die von außen ins System kommt, kann dazu führen, dass sich vor Urzeiten aufgestaute tektonische Spannung in Erdbeben entlädt, die weitaus mehr Energie freisetzen als von außen kam.
Insbesondere bestehende Störungen sind für solche getriggerten Erdbeben anfällig, die als Runaway Event bezeichnet werden.