Ein Erdbeben der vom GEOFON-Programm des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ in Potsdam gemessenen Magnitude 5,7 erschütterte vor wenigen Stunden, am Donnerstag, 26. September 2019, die Stadt Istanbul. Der Ursprung des Bebens um 12:59 MESZ (13:59 Uhr Ortszeit) lag in einer Tiefe von 11 Kilometern etwa 70 Kilometer westlich von Istanbul im Marmarameer.
„Bereits am Dienstag hat es an selber Stelle ein Beben der Magnitude 4,7 gegeben, dessen Daten wir aktuell auswerten“, erklärt Marco Bohnhoff, Leiter der GFZ-Sektion Geomechanik und Wissenschaftliches Bohren am GFZ. „Wir beobachten die Vorgänge sehr genau. Das Beben am heutigen Donnerstag ist das schwerste in der Region seit 20 Jahren. Es begründet sich auf einem ungewöhnlichen ‚Herdmechanismus’, das ist die Art der Erdbewegung in der Quellregion des Bebens. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir aber keine weitergehenden Aussagen zu möglichen Risiken treffen. Die Spannungsumlagerungen durch das Beben können das Großbeben, das für die Region erwartet wird, sowohl wahrscheinlicher als auch unwahrscheinlicher gemacht haben. Wir führen dazu weitere Datenanalysen durch. Für offizielle Prognosen ist der türkische Katastrophenschutz AFAD zuständig, unser zentraler Kooperations-Partner im Rahmen des GONAF-Projekts vor Ort.“
Die Region um das Marmarameer in der Nähe von Istanbul, einer Millionenstadt mit 15 Millionen Einwohnern besitzt eine der risikoreichsten geologischen Strukturen weltweit. Die 'nordanatolische Verwerfung' trennt die eurasische und die anatolische tektonische Platte auf einer Länge von mehr als 1000 Kilometern von Ostanatolien entlang der türkischen Schwarzmeerküste und durch das Marmarameer bis in die Nordägäis. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind bei Starkbeben mit Magnituden stärker als 7 dort mehr als 20.000 Menschen gestorben. Der Bereich unterhalb des Marmara-Meeres südlich von Istanbul ist der einzige Bereich der gesamten Plattengrenze der seit über 250 Jahren kein Starkbeben mehr generiert hat und demzufolge überfällig für ein Erdbeben einer Magnitude bis 7.4.
Weitere Informationen:Geophysikalisches Observatorium an der Anatolischen Störung – GONAF
Die Anatolische Mikroplatte ist eine Schlüsselregion für Untersuchungen, die sich schwerpunktmäßig mit Erdbebenmechanismen, den Wechselwirkungen der Seismizität auf Plattenebene sowie komplexen Deformationsprozessen an Transform-Plattengrenzen beschäftigen. Am nördlichen Plattenrand der anatolischen Mikroplatte stellt die Nordanatolische Verwerfungszone (NAFZ) eine der wichtigsten kontinentalen Transformstörungen auf der Erde dar, die eine mehr als 1000 Kilometer lange Plattengrenze mit erheblicher Erdbebengefahr formt. Große Teile des Marmarameers südlich der Megastadt Istanbul bilden eine seismische Lücke entlang eines über 100 Kilometer langen Verwerfungssegments. Mittels eines hochauflösenden seismischen Bohrloch-Arrays rund um das östliche Marmarameer (Nordwest-Türkei) konzentriert sich die Arbeit des integrierten Plattengrenzenobservatoriums auf dieses Störungssegment. Wir hoffen, so neue Einblicke in die physikalischen Prozesse zu gewinnen, die vor und ggf. auch während und nach einem starken Erdbeben (M>7) wirken sowie Erdbebenmodelle neu zu definieren und zu kalibrieren und Gefahrenabschätzungen für die Megastadt Istanbul in Fast-Echtzeit vorzunehmen. Auf diese Weise leisten wir einen Beitrag zu Istanbuls Frühwarnsystem.
Publikation zum Thema: Malin, E.P., Bohnhoff, M., Blümle, F., Dresen, G., Martínez-Garzón, P., Nurlu, M., Ceken, U., Kadirioglu, F.T., Kartal, R.F., Kilic, T., Yanik, K., 2018. Microearthquakes preceding a M4.2 Earthquake Offshore Istanbul. Nature Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-018-34563-9
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