Eine der drängendsten Fragen der Erdbebenphysik ist das Verständnis, wo und wann Erdbeben auftreten und wie die Seismizität mit Spannungsänderungen in der Erdkruste zusammenhängt. Diese Frage ist heute umso wichtiger, als der Mensch Spannungen im Grundgebirge durch die Nutzung des Untergrunds zunehmend beeinflusst.
Bisher wurden hauptsächlich zwei Klassen von physikalisch basierten Seismizitätsmodellen verwendet. Die eine geht davon aus, dass ein Erdbeben sofort auftritt, wenn die Spannung einen Schwellenwert überschreitet, und die andere basiert auf die Initiierung von Erdbeben entsprechend der im Labor ermittelten Reibungsgesetzen. Beide Modelle sind in ihren Ansätzen sehr unterschiedlich, haben Vor- und Nachteile und sind in ihrer Anwendbarkeit begrenzt. In diesem Beitrag stellen wir ein neues Konzept für Seismizitätsmodelle vor, das nur auf einer Relation zwischen der mittleren Zeit bis zum Erdbeben und dem Spannungszustand beruht. Das neue Konzept ist sehr einfach und kurz herzuleiten und kombiniert überraschenderweise die Stärken beider bisheriger Modelle, wie in verschiedenen Anwendungen auf anthropogen verursachte Seismizität gezeigt wird. Beide traditionellen Modelle erweisen sich als Spezialfälle des neuen Modells.
Dahm, T., Hainzl, S. (2022): A Coulomb Stress Response Model for Time‐Dependent Earthquake Forecasts. - Journal of Geophysical Research: Solid Earth, 127, 9, DOI: 10.1029/2022JB024443
Dahm, T., Hainzl, S., Dahm, R. A.(2022): Time-dependent stress response seismicity models (TDSR), Potsdam. GFZ Data Services, doi.org/10.5880/GFZ.2.1.2022.002