Einer der größten Ausbrüche des italienischen Supervulkans Campi Flegrei, unweit des heutigen Neapels, fand vor ca. 39.850 Jahren statt. Es war zugleich eine der größten Eruptionen im Mittelmeerraum in den letzten 200.000 Jahren, bei der die als Kampanischer Ignimbrit (CI) bezeichnete Vulkanasche bis zu 40 km hoch in die Atmosphäre geschleudert wurde und sich regional zentimeterdick über Osteuropa und im zentralen und nördlichen mediterranen Raum verteilte. Diese spezielle Vulkanasche (CI-Tephra) wird noch heute gefunden. Anhand ihrer einzigartigen chemischen Zusammensetzung lässt sie sich identifizieren und als Zeitmarker nutzen. Die winzigen vulkanischen Glaspartikel können anzeigen, wie schnell Regionen auf vergangene Klimaveränderungen reagierten. Wissenschaftler:innen des Deutschen GeoForschungsZentrums, des GEOMAR und der Universität Potsdam haben die CI-Tephra nun über 2300 km entfernt vom Ursprungsort in Sedimenten aus dem Toten Meer identifizieren können.
Die Entdeckung gibt Aufschluss über den Zeitpunkt des abrupten Klimawandels, der mit dem kalten Heinrich-Ereignis 4 im Mittelmeerraum einherging. Der Fund stellt zudem die bisher angenommene These, dass die Umstellung auf zugleich kältere wie auch trockenere Umweltbedingungen regional zeitlich annähernd synchron verlief, in Frage. Die Studie ist kürzlich in Scientific Reports erschienen. Das DFG geförderte Projekt trägt den Titel: „Tephrochronologische Synchronisation der ICDP-Sedimentkerne aus dem Toten Meer und dem Van See im östlichen Mittelmeerraum für die letzten 130.000 Jahre“ │ TephroMed.
Die Sedimente des Toten Meeres als eine Klima-Zeitmaschine
Sedimente konservieren hervorragend Klima- und Umweltänderungen der Vergangenheit. Daher wurde im Rahmen des Internationalen Festlandsbohrprogramms (ICDP) im Jahre 2011 unter anderem aus der Mitte des Toten Meeres ein Bohrkern entnommen, der über 450 Meter Sediment enthält. Durch das TephroMed-Projekt konnte dieses Sediment nun auf einzelne vulkanische Gläser, so unter anderem den Kampanischen Ignimbrit, untersucht werden. Rebecca Kearney, Markus Schwab und weitere Kolleg:innen vom GFZ, GEOMAR und der Universität Potsdam konnten auf diese Weise insbesondere in die Zeitperiode vor 40.000 - 38000 Jahren sehr detailliert zurückblicken.
Der Kampanische Ignimbrit als synchroner Zeitmarker
Da die große Eruption des Vulkans Campi Flegrei gut datiert ist und in vielen Sedimentarchiven zu finden ist, stellt sie einen detaillierten Zeitmarker für den Mittelmeerraum dar. Der enorme Vulkanausbruch fällt in die Zeit des sogenannten Heinrich-Ereignisses 4 (HE4). In der Fachwelt bezeichnet dieses die Freisetzung einer großen Zahl von Eisbergen in den Nordatlantik, in diesem Fall aus dem nordamerikanischen Laurentidischen Eisschild, der einst unter anderem den gesamten östlichen Teil des heutigen Kanada bedeckte. Mit der Freisetzung der Eisberge erhöht sich der Süßwasserzufluss in den Nordatlantik enorm, die Ozeanzirkulation veränderte sich, führte zu einer geänderten atmosphärischen Zirkulation und diese verursachte eine abrupte Klimaveränderung in der gesamten nördlichen Hemisphäre. Im Mittelmeerraum führte diese Klimaverschiebung zu kühleren und trockeneren Umweltbedingungen, die in zahlreichen mediterranen Sediment- und Pollenarchiven zu erkennen sind.
Der Identifikation des Kampanischen Ignimbrit hilft dabei, viele der Sedimentarchive des Mittelmeers aufeinander abzustimmen, und zeigt, dass die Umwelt als Reaktion auf Heinrich Ereignis 4 bereits kühlere und trockenere Bedingungen aufwies, insbesondere im nördlichen Mittelmeer.
Allerdings herrschten in der Region am Toten Meer, in der der Kampanische Ignimbrit in dieser Studie gefunden wurde, feuchtere Bedingungen, wie die für hohen Süßwassereintrag charakteristischen Sedimente zeigen. Die im Projekt untersuchten Sedimente verdeutlichen, dass vor ~40000 Jahren vor allem viel Süßwasser aus lokalen Niederschlägen ins Tote Meer floss, was ein wichtiger Hinweis für ein insgesamt feuchteres Klima ist. Anderswo in Europa herrschten bereits die trockeneren (und kälteren) Bedingungen. Der Grund für die in dieser Region gegensätzliche Entwicklung ist eine Verzögerung bei der Südverschiebung der atmosphärischen Zirkulationsänderungen im Zusammenhang mit dem HE4. Da das Tote Meer das am weitesten südöstlich gelegene Sedimentarchiv ist, dauerte es möglicherweise länger, bis sich die allmähliche Südverschiebung der atmosphärischen Zirkulation auf die Umwelt des Toten Meeres auswirkte.
„In dieser neuen Studie waren wir zum ersten Mal in der Lage, die Verzögerung der lokalen Umweltänderungen am Toten Meer in Bezug auf HE4 genau zu bestimmen, was nur durch die Verwendung des Kampanischen Ignimbrit als unabhängigem Zeitmarker möglich ist“, sagt Rebecca Kearney, Hauptautorin der Studie und Postdoc der Sektion 4.3. „Climate Dynamics and Landscape Evolution“ am Deutschen GeoForschungsZentrum, Potsdam.
Konsequenzen für zukünftige Klimaszenarien
Diese Ergebnisse zeigen, dass es lokale Unterschiede bei der zeitlichen Reaktion der Umwelt auf großräumige klimatische Veränderungen gibt. „Die Verwendung des Kampanischen Ignimbrit ist ein leistungsstarkes Instrument, um den Zeitpunkt dieser Reaktionen zu verstehen. Untersuchungen wie diese werden dazu beitragen, die aktuellen Computermodelle für die Vorhersage künftiger Klimaszenarien zu verbessern. Außerdem geben sie Aufschluss über die Umweltbedingungen rund um das Mittelmeer zu der Zeit, als sich der anatomisch moderne Mensch in Europa fest etablierte", sagt Markus Schwab, Co-PI (Principal Investigator) des Projekts und Leiter des Labors für Tephra-Analytik der Sektion 4.3 am GFZ.
Originalstudie: Rebecca J. Kearney, Markus J. Schwab, Daniel Redant, Ina Neugebauer, Oona Appelt, Cecile Blanchet, Jan Fietzke, Christina Günter, Daniela J. M. Müller, Rik Tjallingii & Achim Brauer (2024): Identification of the Campanian Ignimbrite in the Dead Sea and consequent time‑transgressive hydroclimatic shifts in the Eastern Mediterranean. Vol.:(0123456789). Scientific Reports | (2024) 14:12114 | https://doi.org/10.1038/s41598-024-59639-7