Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

PUBLIKATION I Lithosphärischer Mantel beeinflusst intrakontinentale Seismizität in Mitteleuropa

Abseits von Plattengrenzen wird die laterale Verteilung seismischer Aktivität in der kontinentalen Kruste oft als diffus beschrieben, und die Mechanismen hinter den seismizitätsfördernden Kräften sind unklar. In Mitteleuropa gelten bereits vorhandene mechanische Diskontinuitäten in der Kruste sowie nacheiszeitliche Hebungen durch das Verschwinden lokaler Gletscherauflast als wichtige Kontrollfaktoren für dir Lokalisierung von Erdbeben. Allerdings haben glaziale isostatische Anpassungen nur geringe Auswirkungen auf Regionen, die weiter von Fennoskandia und dem alpinen Orogen entfernt sind. Außerdem wechseln sich entlang der wichtigsten Störungszonen seismisch aktive Bereiche mit Zonen seismischer Ruhe ab, was wiederum die Frage aufwirft, welche Mechanismen hinter dem Verteilungsmuster der Erdbeben stecken. Wir schließen aus der vorliegenden Studie, dass die zu beobachtende unterschiedliche mechanische Beanspruchung der intrakontinentalen Kruste auch auf Heterogenitäten im lithosphärischen Mantel zurückgeht. Seismische Tomographiemodelle des oberen Erdmantels zeigen, dass die tieferen Bereiche der mitteleuropäische Lithosphärenplatte durch große laterale Variationen in der Scherwellengeschwindigkeit gekennzeichnet sind. Außerdem korrelieren lokale Mantelgeschwindigkeitsanomalien unterschiedlicher Größe und Tiefenausdehnung räumlich mit Erdbeben-Clustern in der darüber liegenden Kruste. Aufgrund dieser Beobachtungen entstand unser Interesse, Scherwellengeschwindigkeiten in Temperaturen und Dichten umzurechnen und so neue Erkenntnisse über die thermomechanische Konfiguration des oberen Mantels zu gewinnen. Aus dieser so eingenommenen Mantelperspektive erscheint die Gesamtverteilung der Erdbeben in der Region viel weniger diffus. Zum einen ist die Seismizität hauptsächlich auf Regionen beschränkt, die Bereiche geringerer Dichte im lithosphärischen Mantel aufweisen, was darauf hindeutet, dass intrinsische Auftriebskräfte im obersten Mantel eine zusätzliche Quelle für Differentialspannungen sind, die auf die Kruste einwirken (je geringer die Dichte des Mantels ist, desto größer ist sein Auftrieb). Außerdem ist die Häufigkeit von Erdbeben oberhalb von lateralen Gradienten in der effektiven Viskosität des oberen Mantels erhöht, was andeutet, dass die Deformation des Mantels entlang von Festigkeitskontrasten stärker ist und zusätzlich zu einer mechanischen Beanspruchung der darüber liegenden Kruste führt. Temperatur- und Dichteheterogenitäten im lithosphärischen Mantel scheinen also sowohl für variierende intrinsische Kräfte verantwortlich zu sein als auch für eine unterschiedlich stark ausgeprägte mechanische Wirkung. Obwohl es zu klären bleibt, welche Mechanismen den lithosphärischen Mantel mit der seismogenen Zone mechanisch verbinden, liefert unsere Studie neue Erklärungen für die Differenzierung des Untersuchungsgebietes in seismisch ruhige Regionen (z.B. Irland, Pariser Becken) und Zonen erhöhter Seismizität (z.B. Festland Großbritannien, Rheingrabensystem).

Publikation:
Bott [Sippel], J., Scheck-Wenderoth, M., Kumar, A., Cacace, M., Noe, S., Faleide, J. I. (2024): Density and strength variations in the mantle lithosphere affect the distribution of intraplate earthquakes. - Communications Earth and Environment, 5, 243.
https://doi.org/10.1038/s43247-024-01417-4

 

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