Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Terrestrische und flugzeuggestützte Gravimetrie

Leiter: Dr. Christoph Förste

Auf dem Telegrafenberg in Potsdam hat die Gravimetrie eine lange Tradition. Hier wurde vor mehr als 100 Jahren am früheren Geodätischen Institut Potsdam begonnen, die Schwerkraft der Erde mit Pendeln genau zu vermessen. Später erfolgte der Einsatz von Feder-Gravimetern. Heute werden am GFZ in der Sektion 1.2 zwei moderne gravimetrische Messverfahren angewendet: Supraleitgravimetrie sowie Gravimetrie auf bewegten Plattformen (Flug- und Schiffsgravimetrie).

Nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz ist die Erdanziehungskraft proportional zur Masse der dem Schwerefeld der Erde ausgesetzten Körper, d.h. alle Körper erfahren dieselbe Fallbeschleunigung. Deshalb wird in Geodäsie und Geophysik üblicherweise die Fallbeschleunigung zur Beschreibung des Erdschwerefeldes verwendet.

Terrestrische Schweremessungen bestehen aus der Bestimmung der Vertikalkomponente der Fallbeschleunigung g an der Erdoberfläche. Ziel dieser Messungen ist die Bestimmung räumlicher und zeitlicher Schwerevariationen. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Fallbeschleunigung an der Erdoberfläche eine Überlagerung der gravitativen Massenanziehungskräfte mit der deutlich kleineren, von der Rotationsachse der Erde nach außen gerichteten Zentrifugalkraft darstellt. Diese effektive Schwerebeschleunigung wird als Schwere bezeichnet. Außerdem erzeugen Massendichte-Inhomogenitäten und zeitliche Massenumlagerungen im Erdinneren räumliche und zeitliche Variationen der Schwerkraft an der Erdoberfläche, die mit Gravimetern detektiert und registriert werden können. In diesem Zusammenhang gestatten gravimetrische Vermessungen auch die Untersuchung geologischer Strukturen wie Störungszonen, Verwerfungen, Salzstöcke und vulkanische Formationen sowie Erzlagerstätten.

Die stärksten Schwankungen der Schwerekraft werden durch die sich periodisch ändernden Positionen von Mond und Sonne gegenüber der Erde und die damit verbundenen Deformationen des Erdkörpers verursacht (Ozean- und Erdgezeiten sowie dadurch induzierte Auflast-Effekte)

Beispiele für Schwerevariationen bzw. Schwerkraftunterschiede (Δg) an der Erdoberfläche (ausgedrückt als Fallbeschleunigung):

  • Der Unterschied in der Schwerebeschleunigung zwischen Pol und Äquator auf Grund der Abplattung der Erde, d.h. unterschiedlicher Abstand zum Erdmittelpunkt (Massenzentrum) und unterschiedliche Zentrifugalbeschleunigung (maximal am Äquator, am Pol gleich Null): Δg ~ 5•10-2 m/s²
  • Schwerkraftunterschiede zwischen Tiefseegräben und den höchsten Bergen: Δg ~ 5•10-2 m/s²
  • Erdgezeiten: bis zu Δg ~ 3•10-6 m/s²
  • Schwerevariationen durch Massenumlagerungen in der Atmosphäre: bis zu Δg ~ 2•10-7 m/s²
  • Schwereänderungen durch längerfristige Massenumlagerungen auf den Kontinenten: in der Größenordnung von Δg ~10-7 m/s2
  • Erhöhung der Schwerkraft durch Anstieg des Grundwasserspiegels um 1m:  Δg ~ 4•10-8 m/s2

Supraleitgravimetrie

Zeitliche Schwereänderungen können mit Absolut- und Relativgravimetern registriert werden. Die genauesten und zeitlich stabilsten Relativ-Gravimeter sind Supraleitgravimeter (SG). Im Gegensatz zu klassischen Federgravimetern besitzen Supraleitgravimeter keine mechanische Feder sondern ein „virtuelles Feder-Design“. Das bedeutet, dass eine mit flüssigem Helium gekühlte, supraleitende diamagnetische Kugel im hochstabilen Magnetfeld eines supraleitenden Elektromagneten schwebt.

Wie alle Gravimeter registriert auch ein Supraleitgravimeter stets die Summe aller durch Massenvariationen und Deformationen im System Erde verursachten Schwerevariationen aus der näheren und weiteren Umgebung des Messpunkts. D.h. die SG-Aufzeichnungen umfassen Schwereeffekte verschiedener Quellen. Hinzu kommt, dass der Sensor in einem Gravimeter aufgrund des Einsteinschen Äquivalenzprinzips sowohl Änderungen der Newtonschen Gravitationskraft (auf Grund von Massenverlagerungen und Dichteänderungen) als auch Trägheitskräfte durch Beschleunigungen registriert.

Um die verschiedenen Schwere-Komponenten in der Zeitreihe eines Gravimeters voneinander zu trennen, sind komplexe Analyse-Verfahren unter Einbeziehung anderer Messdaten wie meteorologische und hydrologische Registrierungen notwendig.

Zu den Forschungsthemen im Zusammenhang mit der Supraleitgravimetrie gehören:

  • Schwereänderungen durch Massenumlagerungen in Atmosphäre und Hydrosphäre sowie Wechselwirkungen mit der Lithosphäre durch Auflasteffekte
  • Evaluation und Kombination von Satellitendaten aus GRACE und Nachfolgemissionen
  • Evaluation von ozeanischen und hydrologischen Modellen
  • Schwingungen des inneren Erdkerns (Slichter-Triplet) und Eigenschwingungen der Erde

Gegenwärtig sind weltweit 68 Sensoren auf 48 Stationen im Rahmen des IAG-Services International Geodynamics and Earth Tide Service (IGETS) in permanentem Messbetrieb installiert. Das GFZ betreibt die IGETS-Datenbank und stellt die Daten seiner drei Supraleit-Gravimeter aus den geodynamischen Observatorien SAGOS (South African Geodynamic Observatory Sutherland“, ZUGOG (Zugspitze Geodynamic Observatory Germany) und HELGOG (Helgoland Gravimetric Observatory Germany) zur Verfügung.

Flug- und Schiffsgravimetrie

Mit Hilfe von Satelliten (präzise Vermessung der Bahnstörungen, Abstandsmessungen zwischen 2 Satelliten, Satelliten-Gradiometrie) kann man globale Gravitationsfeldmodelle sehr homogen über Kontinente und Ozeane hinweg berechnen. Da Satelliten aber hoch über der Erdoberfläche fliegen, ist die räumliche Auflösung der Schwerefeldvermessung begrenzt. Demgegenüber lässt sich das Schwerefeld mit traditioneller terrestrischer Gravimetrie am Erdboden mit sehr hoher räumlicher Auflösung messen. Aber die homogene terrestrische gravimetrische Vermessung einer größeren Region ist nur mit großem ökonomischen und zeitlichen Aufwand, oder, wie z.B. im Hochgebirge, in Dschungelgebieten oder in der Antarktis, überhaupt nicht möglich. Und auch auf Seen und Meeren lassen sich wegen der Wellenbewegung der Schiffe keine klassischen Federgravimeter verwenden. Die Flug- und Schiffsgravimetrie kann dazu verwendet werden, diese Lücke zwischen traditioneller und Satelliten-Gravimetrie zu schließen, um beispielsweise regionale Schwerefeldmodelle zu entwickeln. Dank der Verfügbarkeit der GNSS-Systeme findet die Flug- und Schiffsgravimetrie nicht nur in der geowissenschaftlichen Grundlagenforschung und in der Lagerstätten-Erkundung Anwendung, sondern wird auch in der Geodäsie bei der Geoidbestimmung zur Vereinheitlichung nationaler Höhensysteme genutzt.

Für den Einsatz auf Flugzeugen und Schiffen wurden speziell konstruierte transportable Feder-Gravimeter entwickelt, die auf kreisel-stabilisierten Plattformen installiert sind. Dazu gehören GNSS-Empfänger, deren Messungen die notwendige Reduktion der nicht-gravitativen Störbeschleunigungen der Messplattform gestatten. Für die Vermessung des Schwerefelds auf Schiffen oder Flugzeugen kommen aber zunehmend auch spezielle Trägheits-Navigationssysteme zum Einsatz, deren Beschleunigungsmesser die notwenige Genauigkeit und Driftstabilität besitzen. Diese auch als Strapdown-Gravimeter bezeichneten Geräte sind fest auf dem bewegten Vehikel installiert und arbeiten ohne kreisel-stabilisierte Plattform. Mittlerweile gibt es erfolgversprechende technologische Entwicklungen, neuartige Quantengravimeter auch auf Flugzeugen und Schiffen als mobile Gravimeter einzusetzen.

Das GFZ besitzt seit mehr als zehn Jahren ein mobiles Gravimeter vom Typ Chekan-AM, das von der russischen Firma CSRI "Elektropribor"hergestellt wurde und 2017 eine neue Sensoreinheit erhielt. Im Bereich der Fluggravimetrie kam dieses Gerät zusammen mit mehreren GNSS-Empfängern vom Typ JAVAD Delta G3T im Rahmen der GEOHALO-Mission zum Einsatz. Später erfolgte über mehrere Jahre ein intensiver Einsatz in der Schiffsgravimetrie im FAMOS-Projekt.

Seit kurzem verfügt das GFZ über ein neuartiges Strapdown-Gravimeter vom Typ iCORUS des Herstellers iMAR Navigation & Control. Das iCORUS wird gegenwärtig zusammen mit dem Chekan-Gravimeter in der Schiffsgravimetrie auf der Nordsee eingesetzt. Ziel ist die Geoid-Bestimmung auf der Nordsee.

Literatur

Boy, J.-P., Barriot, J.-P., Förste, C., Voigt, C., Wziontek, H. (2020 online): Achievements of the First 4 Years of the International Geodynamics and Earth Tide Service (IGETS) 2015–2019. - In: (International Association of Geodesy Symposia ), Berlin, Heidelberg : Springer-Verlag. https://doi.org/10.1007/1345_2020_94

Förste, C., Ince, E. S., Johann, F., Schwabe, J., Liebsch, G. (2020): Marine Gravimetry Activities on the Baltic Sea in the Framework of the EU Project FAMOS. - ZfV: Zeitschrift für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement, 145, 5, 287-294. https://doi.org/10.12902/zfv-0317-2020

Ince, E. S., Förste, C., Barthelmes, F., Pflug, H., Li, M., Kaminskis, J., Neumayer, K., Michalak, G. (2020): Gravity Measurements along Commercial Ferry Lines in the Baltic Sea and Their Use for Geodetic Purposes. - Marine Geodesy, 43, 6, 573-602. https://doi.org/10.1080/01490419.2020.1771486

Ince, E. S., Barthelmes, F., Reißland, S., Elger, K., Förste, C., Flechtner, F., Schuh, H. (2019): ICGEM – 15 years of successful collection and distribution of global gravitational models, associated services and future plans. - Earth System Science Data, 11, 647-674. https://doi.org/10.5194/essd-11-647-2019

Voigt, C., Schulz, K., Koch, F., Wetzel, K.-F., Timmen, L., Rehm, T., Pflug, H., Stolarczuk, N., Förste, C., Flechtner, F. (2021): Technical note: Introduction of a superconducting gravimeter as novel hydrological sensor for the Alpine research catchment Zugspitze. - Hydrology and Earth System Sciences, 25, 9, 5047-5064. https://doi.org/10.5194/hess-25-5047-2021

zurück nach oben zum Hauptinhalt