Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Tephrochronologie des 133 ka Sedimentprofils des Lago Grande di Monticchio

Das jahreszeitlich geschichtete Sedimentprofils des Maarsees Lago Grande di Monticchio in Süditalien stellt nicht nur ein hochauflösendes Umwelt- und Klimaarchiv der Region dar, sondern liefert zudem chronostratigraphische Informationen zur Ausbruchsgeschichte benachbarter (100-540 km) quartärer Vulkane in Mittel- und Süditalien. Insgesamt 345 sichtbare distale vulkanische Aschenlagen (Tephren) sind in der 133,000 Jahre umfassenden Sedimentsequenz von Monticchio abgelagert. Basierend auf Messungen der geochemischen Zusammensetzung von vulkanischen Gläsern sowie auf Bestimmungen des Mineral- und Lithoklastenbestandes konnte eine Großzahl der Tephren den K-alkalinen Vulkanen der Kampanischen Provinz (z.B. Vesuv, Phlegräische Felder, Ischia, Procida-Vivara) zugeordnet werden. Diese Vulkanprovinz ist auch heute noch aktiv und stellt somit eine hohe Gefahr für die Millionenstadt Neapel und anliegenden Gemeinden dar. Andere Aschen im Monticchio-Profil konnten mit hochexplosiven Vulkanausbrüchen der entfernteren Römischen (z.B. Albaner Berge, Sabatiner Berge) und Sizilisch-Äolischen Provinzen (z.B. Ätna, Stromboli, Salina, Vulcano, Pantelleria) korreliert werden. Die Dokumentation dieser Aschen, besonders die der älteren und von bislang unbekannten Ausbruchsereignisse stammenden, sowie deren eindeutige stratigraphische Position und ungestörte Ablagerung im Monticchio-See erlauben einen neuen und detaillierten Einblick in die Eruptionsfrequenz italienischer Vulkane und in die Verbreitungsmuster derer emittierten Aschen. Das Auffinden von bestimmten Tephren in der Monticchio-Sequenz wie zum Beispiel der interplinianischen „AP“-Tephren vom Vesuv (ca. 3.5 ka) oder der „Solchiaro“-Tephra von Procida-Vivara (22 ka BP) belegen u.a. eine großräumigere Verbreitung dieser Aschen als zuvor angenommen. Eine Reihe von Tephra-Ereignissen konnte zudem mit Hilfe der hochauflösenden Warven- und Sedimentationsraten-Chronologie der Seesedimente neu zeitlich eingestuft werden (z.B. die weitverbreitete X-6, 108.3 ka BP). Umgekehrt konnten die radiometrischen Alter von 28 Aschen genutzt werden, um das Altersmodell der Sedimente abzusichern.

Im gesamten stellt das tephrostratigraphische Profil von Monticchio eine Schlüsselfunktion für die Korrelation und Datierung von anderen Paläoklimasequenzen im Mittelmeerraum dar, das die Interpretation von zeitlich geordneten Klimaprozessen (sogenannte „lead“ und „lags“) erleicht.

Partner
J. Keller (ehemals Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.), M. McKenzie and P. Albert (Royal Holloway University of London, UK), E. Tomlinson (Trinity College Dublin, Irland), B. Giaccio (CNR Rom, Italien), R. Sulpizio (Universitá di Bari, Italien)

Methoden in der Tephrochronologie
Bei explosiven Vulkanausbrüchen entsteht Fallasche, die auch Tephra genannt wird und je nach Windbedingungen über weite Gebiete hinweg verteilt und +/- synchron abgelagert werden kann. Neben ihren zerstörerischen Charakter sind Tephren von großer wissenschaftlicher Bedeutung, da sie als unabhängige Zeit- und Synchronisationsmarker in verschiedenartigen Ablagerungsräumen (z.B. Land, Meer, Eis) eingesetzt werden können. In sedimentären Ablagerungsräumen nahe dem vulkanischen Ausbruchszentrum sind Tephren oft als diskrete Lagen sichtbar. In entfernteren (distalen) Archiven sind aufgrund der Sortierungsprozesse während des äolischen Tephra-Transportes dagegen meist nur Spuren von Aschen – oft in Form von wenigen feinkörnigen (<100 µm) vulkanischen Gläsern – zu finden. Das Aufspüren dieser Gläser kann sehr schwierig sein und beinhaltet je nach Art des Tephra-führenden Sedimentes langwierige und komplexe Aufbereitungsprozesse. Hier werden zwei Arten von Methoden zur Suche von nicht sichtbaren Tephren (Kryptotephren) unterschieden: die destruktive Bearbeitung der Sedimente, die das sukzessive Entfernen von verschiedenen Sedimentkomponenten (z.B. Organik, Karbonate, biogenes Silizium, Minerale) durch chemische und/oder physikalische Separation beinhaltet, sowie vorgreifende materialschonende Methoden wie z.B. das Scannen der Sedimentsequenz mit Hilfe optischer-mikroskopischer Verfahren, der magnetischen Suszeptibilität und µ-XRF Element-zusammensetzung.

Nach dem Auffinden und der Extraktion von vulkanischen Gläsern erlaubt deren geochemischer „Fingerabdruck“ eine Zuordnung der Asche zu ihrem Ausbruchszentrum und, soweit möglich, zu einem bestimmten Ausbruchsereignis. Das Alter dieses Ereignisses kann dann in das Altersmodell der Sedimentsequenz integriert werden und bietet somit eine weitere unabhängige Datierungsmethode, die „Tephrochronologie“, an.

Anwendungen der Tephrochronologie
Die Anwendung der Tephrochronologie umfasst eine Reihe wissenschaftlicher Fragestellungen in den Bereichen der Geologie, Paläoklimatologie, Archäologie und Neotektonik, die am besten anhand von Beispielen im östlichen Mittelmeerraum demonstriert werden können. Diese Region ist ideal für tephrochronologische Untersuchungen, da sie sich durch eine Vielzahl hochaktiver explosiver Vulkane in Italien, Griechenland und in der Türkei auszeichnet, die große Mengen an geochemisch diversen Aschen während des Spätquartärs produzierten. Insbesondere anhand des markanten Campanischen Ignimbrites (39.3 ka BP, Italien) und der Y-2/Cape Riva Asche (22 ka BP, Santorini) kann die Hilfe von Tephren als Datierungsmittel verdeutlicht werden, z.B. in der Interpretation von abrupten Klimaänderungen und ihre Auswirkung auf die menschliche Entwicklung, von Meeresspiegeländerungen (z.B. Marmara-Meer, Schwarzes Meer) und der Abschätzung von marinen Reservoir-Altern, der Klärung der chronostratigraphischen Stellung von paläomagnetischen Umpolungen (z.B. die Laschamp und Mono Lake Exkursionen) und der Synchronisierung von Paläoklimasequenzen im östlichen Mittelmeerraum zur Ermittlung von „leads“ und „lags“ rapider Klimaänderungen. Jahreszeitlich geschichtete Seesediment-Archive in günstiger Windposition zu aktiven Vulkanen, wie z.B. das 133 ka umfassende Tephra-Archiv des Lago Grande di Monticchio, sind dabei der Schlüssel für die überregionale Korrelation von Sedimentprofilen in Mittel- und Südeuropa. Vulkanologisch-soziologisch betrachtet sind diese Archive von großer Bedeutung, da sie detaillierte Informationen zur Häufigkeit von explosiven Ausbrüchen benachbarter, gefährlicher Vulkane (im Fall von Monticchio die Campanische Vulkanprovinz in Süditalien) liefern, und ferner die Möglichkeit bieten, Zusammenhänge zwischen rapiden Klimaänderungen und den Umweltauswirkungen von großen Vulkanausbrüchen zu studieren. Desweiteren tragen Untersuchungen zur Verbreitung von sichtbaren Aschen und Kryptotephren zum Kenntnisstand vergangener Windsysteme bei, die wiederum auf moderne Aschenverbreitungsmodelle (siehe Ausbrüche des Eyjafjallajökull in 2010 und des Grimsvötn in 2011 auf Island) und umgekehrt angewandt werden können.

Korrelation von terrestrischen und marinen Sedimentsequenzen im Östlichen Mittelmeerraum
Der regionale und überregionale Vergleich von Paläoklimasequenzen wird oft durch das Fehlen unabhängiger Chronologien erschwert, da viele dieser Sequenzen über indirekte Methoden wie Sauerstoffisotopen, Bio- und Magnetostratigraphien datiert werden.

Das tephrostratigraphische Profil des Lago Grande di Monticchio mit seiner unabhängigen Warvenchronologie ist in daher ideal für die Verknüpfung von terrestrischen und marinen Sequenzen im östlichen Mittelmeerraum. Mit Hilfe der detaillierten Beschreibung der sichtbaren Tephren im Monticchio-Profil und der Identifizierung von Kryptoaschen italienischen Ursprungs in eher distalen Archiven im Mittelmeerraum stehen bislang über 30 individuellen Tephralagen als Korrelationshorizonte für die letzten 133 ka zur Verfügung. Im zentralen Mittelmeerraum können zum Beispiel für den jüngeren Zeitabschnitt die „Avellino-Tephra“ (Vesuv, 3.8 ka BP), der „Gelbe Napolitanische Tuff“ (NYT, Phlegräische Felder, 14.5 ka BP) und der „Biancavilla Ignimbrit“ (Ätna, 17.5 ka BP) zur Verlinkung von hochauflösenden lakustrinen genutzt werden (z.B. Lago di Mezzano, Lago di Albano, Bled-See, Längsee). Diese zusammen mit älteren Tephren wie zum Beispiel die „Y-3 Tephra“ (unbekannter Kampanischer Urspung, 31 ka BP), der weitverbreitete „Campanische Ignimbrit“ (Y-5, Phlegräische Felder, 39.3 ka BP) und die „X-5/X-6“ Tephra-Doppellagen (unbekannter Kampanischer Urspung, 105.6 ka und 108.3 ka BP) bilden sie Schlüsselhorizonte für die Verknüpfung mit marinen Sequenzen aus der Adria, dem Tyrrhenischen und Ionischen Meer. Diese Daten in Kombination mit Aschen von den griechischen Inseln und Zentralanatolien erlauben einen überregionalen Vergleich der Paläoklimasequenzen aus dem Zentralen Mittelmeerraum mit terrestrischen und marinen Sequenzen aus dem östlichen Teil des Mittelmeerraumes (z.B. Marmara-Meer, Schwarzes Meer, Levant) und dem Nahen Osten.

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