Geophysikalisches Observatorium an der Nordanatolischen Verwerfungszone | GONAF
Türkei
GONAF ist ein kombiniertes Oberflächen- und Bohrloch-Observatorium zur Messung tektonischer Deformation (seismisch und aseismisch) entlang des Marmara-Segments der Nord-Anatolischen Verwerfungszone (NAFZ) im Nordwesten der Türkei. Dort ist ein Erdbeben der Stärke 7 oder stärker in direkter Nähe zur Megametropole Istanbul überfällig.
Die Hauptziele des GONAF-Observatoriums sind:
- die Identifizierung potenziell kriechender und blockierter Verwerfungsabschnitte, um mögliche Szenarien eines zukünftiges Starkbebens in der Region bestimmen zu können
- die Überwachung von seismischen und aseismischen Deformationstransienten, die auf ein bevorstehendes großes Erdbeben hinweisen könnten.
Die Tatsache, dass die gegenwärtige sogenannte ‚seismische Lücke‘ der NAFZ unterhalb des Marmarameeres verläuft, macht die hochauflösende seismische und geodätische Überwachung zu einer herausfordernden Aufgabe. Daher ist der Ansatz des GONAF-Observatoriums, die Deformationsprozesse unter rauscharmen Bedingungen in Bohrungen zu erfassen. Die Planung, Implementierung und geophysikalische Instrumentierung der Bohrungen, die auf Inseln nahe der Verwerfung und entlang der Küste rund um das östliche Marmarameer verteilt sind, wurde im Rahmen des Internationalen Kontinentalen Landbohrprogramms (ICDP) entwickelt und von diesem ko-finanziert.
GONAF besteht aktuell aus insgesamt 11 Bohrungen an 7 Standorten. Die Bohrungen sind mit Bohrloch-Seismometern und Deformationsmessgeräten ausgestattet, um eine hochauflösende Echtzeitüberwachung der seismischen Lücke in der östlichen Marmara-Region zu gewährleisten. Die Kombination der GONAF-Messdaten mit regionalen Oberflächenmessnetzen ermöglichte die Erstellung eines ersten hochauflösenden Seismizitätskatalogs der Region, der fast 15 Jahre abdeckt (2006-2021). Unter anderem wurde dieser Katalog verwendet, um sogenannte ‚Erdbeben-Repeater‘ zu identifizieren. Das sind wiederkehrende Erdbeben mit fast identischen Wellenformen, die quasi-periodisch dieselben Verwerfungssegmente aktivieren, und die Indikatoren für aseismische Kriechprozesse im Untergrund sind.
Neben der Untersuchung von auch noch kleinstskaliger Seismizität im Kontext von möglichen Vorläuferprozessen größerer Erdbeben beschäftigt sich GONAF auch mit der Rolle von aseismischen Deformationsprozessen wie Kriechprozesse oder langsame Erdbeben (sogenannter slow-slip events). Beide Phänomene sind grundlegend für die Seismomechanik entlang der Verwerfungszone und spielen eine Rolle für Ort und Zeit stärkerer Erdbeben. In diesem Zusammenhang wurden durch GONAF unter anderem zwei transiente Episoden von langsamen aseismischen Ereignissen beobachtet, die mit dem Auftreten von ‚klassischen‘ Erdbeben der Stärke M>4 in der Region in Verbindung stehen.
Beschreibung der Instrumentierung
Die Bohrlochseismometer, die in den GONAF-Bohrungen eingesetzt wurden, sind allesamt passive Sensoren unterschiedlicher Eigenfrequenz und wurden ausgewählt, um die gesamte Spanne an erwarteten seismischen Signalfrequenzen abzudecken. Diese wird hauptsächlich durch die lokale Seismizität definiert, die bis zur Basis der seismogenen Schicht in etwa 18 km Tiefe auftritt und Signal-Frequenzen von typischerweise bis zu einigen Zehner Hertz aufweist. Sie sollen jedoch auch höhere Frequenzen von kleinen seismischen Ereignissen abdecken, die in unmittelbarer Nähe der einzelnen Bohrungen auftreten.
Die sieben vertikalen seismischen GONAF-Arrays sind mit Vertikalkomponenten der Eigenfrequenz 1 Hz ausgestattet und in Tiefen von 75, 150 und 225 m platziert sind. Im Bohrlochtiefsten in 300m wurden dann Dreikomponentenseismometer der Eigenfrequenzen 1, 2 und 15 Hz installiert. Die 1 Hz Sensoren wurden ausgewählt, da sie weltweit in lokalen und regionalen seismischen Oberflächennetzen zum Einsatz kommen und einen internationalen Standard darstellen. Die Neigungsempfindlichkeit der Bohrlochseismographen erforderte eine extreme Vertikalität der Bohrungen von maximal 1° Neigung, die auch erreicht werden konnte. Alle Sensoren wurden in die Bohrungen einzementiert, um eine gute Ankopplung an die Gesteinsformation und langfristige Funktionalität zu gewährleisten. Die seismischen Wellenformendaten werden derzeit mit 500 Hz abgetastet und in Echtzeit zum GFZ Potsdam und zur Zentrale des türkischen Katastrophenschutzes AFAD in Ankara zur Archivierung und Auswertung übertragen.
An vier der sieben GONAF-Standorte wurden hochempfindliche Deformationsmessgeräte, sogenannte Strainmeter, in 100 m tiefen Bohrungen installiert, um auch langsame (aseismische) Prozesse entlang der Verwerfungszone messen zu können. Die Strainmeter bestehen aus drei horizontalen Dehnungssensoren mit jeweils 120° Winkelabstand und einer vierten redundanten Komponente. Ein Dreikomponenten-Seismometer mit einer Eigenfrequenz von 2 Hz ist ebenfalls implementiert. Die Installation der Strainmeter erfolgte in gleicher Weise wie im Rahmen des US Plate Boundary Observatory entwickelt und umgesetzt.
Webseite des Observatoriums
Der Zugang zu den Daten wird auf der Webseite des Observatoiums erläutert: https://www.gonaf-network.org/
Kataloge, die zum Teil aus GONAF Daten abgeleitet werden:
- AFAD Earthquake catalogue: Prime Ministry, Disaster and Emergency Management Presidency, Earthquake Department, On-line Catalogue, www.deprem.gov.tr, 2007–present.
- Martínez-Garzón, P., Durand, V., Kwiatek, G., Bohnhoff, M., Georg, D., Turkmen, T., Nurlu, M.: Seismicity catalog for the Armutlu Peninsula from 2019 derived using the SMARTnet temporary seismic network. V. 1. GFZ Data Services. https://doi.org/10.5880/GFZ.4.2.2021.004, 2021.
- Bentz, S., Kwiatek, G., Durand, V., Wollin, C., Bohnhoff, M., Martínez Garzón, P.: Earthquake catalog derived from Template Matching related to "A two-scale preparation phase preceded a Mw 5.8 Earthquake in the Sea of Marmara offshore Istanbul, Turkey". https://doi.org/10.5880/GFZ.4.2.2020.006, 2020.