Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Entwicklung, Betrieb und Auswertung von Schwerefeldsatellitenmissionen

Die Figur unseres Planeten weicht aus vielerlei Gründen grundlegend von der einer  idealen Kugel ab. Zunächst ist die Erde näherungsweise ein Ellipsoid, welches durch die Erdrotation am Äquator ausgebaucht und an den Polen abgeplattet ist. Zusätzlich „zerknittern“ hohe Berge auf den Kontinenten und tiefe Täler in den Ozeanen ihre Oberfläche.

Interessanter aus geowissenschaftlicher Sicht sind jedoch die räumlichen und zeitlichen Variationen des Erdschwerefeldes, die zusätzliche Abweichungen von einer idealen Kugel bewirken. Diese Abweichungen werden durch die  von der Mantelkonvektion ausgelösten großräumigen Massenverlagerungen verursacht und werden entweder in Bewegungen des ganzen Erdkörpers wie der Variation der Erdrotation oder Teilbewegungen, wie der Deformation der Lithosphäre (z.B. sichtbar im Mittelatlantischen Rücken), Subduktionszonen, Plattenkinematik, Vulkanismus oder Erdbeben sichtbar. Zusätzlich verursachen die luni-solare Gravitation, atmosphärischer Druck und Winde, Ozeanzirkulation und -tiden, Ozeanbodendruck, Variationen im kontinentalen Wasserkreislauf oder das Abschmelzen des Eises in den Polarregionen oder in den großen Gletschersystemen räumliche und zeitliche Variationen des Schwerefeldes.

Um diese Massenverteilung und Massentransporte des Systems Erde in einem globalen Maßstab, mit einheitlicher und hoher Genauigkeit und über möglichst lange Zeitskalen beobachten zu können, benötigt man dedizierte Schwerefeldsatellitenmissionen. Diese Missionen werden in unserer Sektion gemeinsam mit der deutschen Industrie und der NASA entwickelt, in Kooperation mit dem German Space Operation Center (GSOC) des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt betrieben und mit einer den internationalen Standards entsprechenden Software (EPOS) im Thema 3 ausgewertet.

GFZ-1, der erste Satellit des GFZ, war ein kleiner, passiver, kugelförmiger Satellit, der mit 60 Retroreflektoren ausgestattet war, die vom globalen Netz der Satellite Laser Ranging (SLR) Bodenstationen am Ende des letzten Jahrhunderts angemessen wurden, um in der Kombination mit anderen geodätischen Satelliten unser Verständnis vom Schwerefeld der Erde zu verbessern. Dies hat sich seit Beginn des neuen Jahrtausends durch eine neue Generation von LEO (Low Earth Orbiting) Satelliten, die mit GPS-Empfängern sowie hochpräzisen Beschleunigungs- und Inter-Satelliten-Abstandsmessern ausgestattet sind und damit das Schwerefeld und erstmals auch dessen zeitliche Variationen beobachten, nochmal entscheidend verbessert.

Die Missionen CHAMP (CHAllenging Minisatellite Payload, 2000-2010) und GOCE (Gravity field and steady-state Ocean Circulation Explorer, 2009-2013), als auch die Zwillingssatelliten von GRACE (Gravity Recovery and Climate Mission, 2002-2017) sind dabei mit hochsensitiven Instrumenten ausgestattet, die es erlauben auch kleinste durch Veränderungen im Erdschwerefeld verursachte Beschleunigungen zu beobachten. Das GFZ spielte dabei eine führende Rolle in der Entwicklung, im Betrieb und in der Auswertung dieser modernen Satellitenmissionen. So waren wir Teil des gemeinsamen deutsch/amerikanischen wissenschaftlichen Auswertesystems (Science Data System, SDS) von GRACE und stellten den Deputy Operations Mission Manager und waren Mitglied in der GOCE High Level Processing Facility der ESA. Gemeinsam mit der NASA haben wir die GRACE-Nachfolgemission GRACE-FO (Follow-on) entwickelt, die am 22.Mai 2018 gestartet wurde. Auch hier sind wir wieder Teil des SDS und verantworten den Missionsbetrieb.

Die dabei entstehenden verschiedenen statischen und zeitvariablen EIGEN (European Improved Gravity model of the Earth by New techniques) Schwerefeldmodelle werden in vielen Anwendungen der Erdwissenschaften benutzt, um z.B. den globalen kontinentalen Wasserkreislauf, das Abschmelzen großer Gletschersysteme oder Tiefenströmungen in den Ozeanen zu beobachten. Dabei sind die sogenannten 'statischen satellite-only (rein aus Satellitendaten berechneten) Modelle' von besonderer Bedeutung, da sie völlig unabhängig von Bodendaten berechnet wurden. Diese Modelle werden zusätzlich (im Thema 2) mit terrestrischen Schweredaten zu ultra-hochauflösenden Schwerefeldmodellen kombiniert.

Die wichtigsten Projekte des Themas 1 sind:

  • Betrieb des GFZ-Anteils des GRACE-FO Science Data Systems und operationelle Berechnung von monatlichen RL06 Schwerefeldern
  • Verantwortung für den GRACE-FO Missionsbetrieb, der im Unterauftrag an das DLR/GSOC gegeben wurde
  • Betrieb einer Satellitenempfangsstation in Ny Alesund (Spitzbergen) zum Empfang von Daten verschiedener Erdbeobachtungssatelliten auf polaren und nahe-polaren Bahnen (primäre Empfangsstation für GRACE-FO)
  • Aufbau und Betrieb des Gravity Information Service (GRAVIS)
  • Leitung der DFG Forschergruppe NEROGRAV (New Refined Observations of Climate Change from Spaceborne Gravity Missions) und Bearbeitung von zwei Teilprojekten
  • Entwicklung und Integration von Satelliten-Nutzlasten
  • Simulationsstudien für Schwerefeldmissionen der nächsten Generationen

Abgeschlossene Projekte:

  • European Gravity Service for Improved Emergency Management (EGSIEM)
  • Antarctic Ice Sheet Mass Balance from Satellite Geodesy and Modeling (ANTARCTIC-IMB)
  • Combined Ocean Tide Analysis by GRACE and Altimetry Data (COTAGA)
  • Surface mass redistribution from joint inversion of GPS site displacements, ocean bottom pressure models and GRACE global gravity models (JIGOG)
  • Geodesy and Time Reference in Space (GETRIS)

Literatur

Landerer, F. W., Flechtner, F., Save, H., Webb, F. H., Bandikova, T., Bertiger, W. I., Bettadpur, S. V., Byun, S., Dahle, C., Dobslaw, H., Fahnestock, E., Harvey, N., Kang, Z., Kruizinga, G. L. H., Loomis, B. D., McCullough, C., Murböck, M., Nagel, P., Paik, M., Pie, N., Poole, S., Strekalov, D., Tamisiea, M. E., Wang, F., Watkins, M. M., Wen, H., Wiese, D. N., Yuan, D. (2020): Extending the global mass change data record: GRACE Follow‐On instrument and science data performance. - Geophysical Research Letters, 47, 12, e2020GL088306. https://doi.org/10.1029/2020GL088306

Dahle, C., Murböck, M., Flechtner, F., Dobslaw, H., Michalak, G., Neumayer, K., Abrykosov, O., Reinhold, A., König, R., Sulzbach, R., Förste, C. (2019): The GFZ GRACE RL06 Monthly Gravity Field Time Series: Processing Details and Quality Assessment. - Remote Sensing, 11, 18, 2116. https://doi.org/10.3390/rs11182116

Tapley, B. D., Watkins, M. M., Flechtner, F., Reigber, C., Bettadpur, S., Rodell, M., Sasgen, I., Famiglietti, J. S., Landerer, F. W., Chambers, D. P., Reager, J. T., Gardner, A. S., Save, H., Ivins, E. R., Swenson, S. C., Boening, C., Dahle, C., Wiese, D. N., Dobslaw, H., Tamisiea, M. E., Velicogna, I. (2019): Contributions of GRACE to understanding climate change. - Nature Climate Change, 9, 358-369.  https://doi.org/10.1038/s41558-019-0456-2

Jäggi, A., Weigelt, M., Flechtner, F., Güntner, A., Mayer-Gürr, T., Martinis, S., Bruinsma, S., Flury, J., Bourgogne, S., Steffen, H., Meyer, U., Jean, Y., Sušnik, A., Grahsl, A., Arnold, D., Cann-Guthauser, K., Dach, R., Li, Z., Chen, Q., van Dam, T., Gruber, C., Poropat, L., Gouweleeuw, B., Kvas, A., Klinger, B., Lemoine, J.-M., Biancale, R., Zwenzner, H., Bandikova, T., Shabanloui, A. (2019): European Gravity Service for Improved Emergency Management (EGSIEM) - from concept to implementation. - Geophysical Journal International, 218, 3, 1572-1590. https://doi.org/10.1093/gji/ggz238

Flechtner, F., Neumayer, K.-H., Dahle, C., Dobslaw, H., Fagiolini, E., Raimondo, J.-C., Güntner, A. (2016): What Can be Expected from the GRACE-FO Laser Ranging Interferometer for Earth Science Applications? Surveys in Geophysics, 37, 2, p. 453-470, https://doi.org/10.1007/s10712-015-9338-y

Studien zur Realisierung von Schwerefeld Satellitenmissionen

Zwischen 2002 und 2017 lieferte die US/Deutsche GRACE Satellitenmission monatliche Zeitreihen von Schwerefeldmodellen, die den Massentransport im System Erde beschreiben. Diese Modelle werden von einer breiten Wissenschaftsgemeinschaft benutzt, um saisonale und sub-saisonale Variationen im kontinentalen hydrologischen Zyklus, Eismassenverluste in der Antarktis oder in Grönland oder Oberflächen- und Tiefenströmungen in den Ozeanen zu beobachten und zu analysieren. Seit 2018 wird diese Zeitreihe durch die GRACE Follow-on (GRACE-FO) Mission verlängert und umfasst nun mittlerweile mehr als 20 Jahre. GRACE-FO wurde gemeinsam in NASA/GFZ Partnerschaft realisiert und nun betrieben.  

Es herrscht ein breiter Konsens in der wissenschaftlichen Nutzergemeinschaft, dass diese Zeitreihen a) über mehrere Dekaden verlängert werden müssen, um die Plausibilität der bisher abgeleiteten klimabezogenen Trends und Variationen zu verbessern und b) dass gleichzeitig auch die räumliche und zeitliche Auflösung als auch die Messgenauigkeit weiter verbessert werden muss.

Aus diesem Grund hat das GFZ gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie der deutschen Industrie (Airbus Defense and Space und SpaceTech GmbH) und in enger Abstimmung mit JPL zwischen 2020 und 2022 verschiedene Studien zur Realisierung einer GRACE-FO Nachfolgemission durchgeführt mit dem primären Ziel, ab 2028 die Datenkontinuität zu sichern. Diese Mission soll wieder in Kooperation mit der NASA realisiert werden und läuft aktuell noch unter dem Namen „GRACE-I bzw. MCM (Mass Change Mission)“. Die Finanzierung der geplanten deutschen Missionsanteile konnte im Oktober 2022 gesichert werden.

Zur Erhöhung der räumlichen und zeitlichen Auflösung plant die ESA gemeinsam mit der NASA eine Mass change And Geosciences International Constellation (MAGIC). MAGIC wird aus einem Doppelpaar bestehen, wobei das polar-fliegende Paar GRACE-I/MCM sein wird und die ESA gemeinsam mit der NASA ein weiteres inkliniert fliegendes Paar in 2031 beisteuern wird. Diese Next Generation Gravity Mission (NGGM) soll dann auch tiefer als GRACE-I/MCM fliegen und einen genaueren Beschleunigungsmesser für die Beobachtung der nicht-gravitativen Störkräfte haben.

Die Sektion 1.2 war und ist in verschiedenen nationalen und ESA-Studien involviert, die alle das Ziel hatten oder noch haben diese Datenkontinuität und erhöhte Auflösung zu realisieren. Einige kurze Details zu diesen Studien sind auf den englischen Seiten zu finden.

  • 2021-2023: “Third Party Mission Science Study” (ESA)
  • 2021-2023: “NGGM/MAGIC Science Support Study” (ESA)
  • 2021-2023: “NGGM/MAGIC Phase A System Study” (ESA)
  • 2022: “Phase-A Study GRACE-I” (BMBF)
  • 2018: ESA EE10 Call “MOBILE“
  • 2016: ESA EE9 Call "E2.motion"
  • 2013-2014: “NGGM-D” (DLR)
  • 2009-2012: “Future Gravity Field Satellite Mission" (BMBF)
  • 2009-2011: ESA ITT “NG2”
  • 2010: ESA EE8 “E.motion”
  • 2008-2010: Verschiedene GFZ-finanzierte Forschungs- und Entwicklungsstudien

 

Entwicklung und Integration von Satelliten-Nutzlasten

Um ein Maximum an hochwertigen wissenschaftlichen Resultaten aus Weltraummissionen zu erhalten, sind Wissenschaftler und Ingenieure des GFZ Potsdam an Definition und Entwurf neuer Satelliten beteiligt. Das schließt die Entwicklung und Herstellung neuer Hardware ebenso wie die Unterstützung bei der Integration der Nutzlasten sowie bei Tests ein. Beispiele derartiger Aktivitäten sind:
 


Aktive Nutzlasten wie die Instrumenteneinheiten für Magnetometrie, Schwerefeldforschung und Atmosphärensondierung auf dem CHAMP Satelliten sowie die GPS Empfänger auf TerraSAR-X und TanDEM-X wurden bzw. werden während ihres Betriebs im Weltraum unterstützt.

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