Durch die Europäische Hochwasserrichtlinie sind die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verpflichtet, Risikomanagementpläne für alle Gebiete mit potenziell signifikantem Hochwasserrisiko zu erstellen. Solche landesweiten Hochwasserrisikobewertungen sind darüber hinaus wichtig, um Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Um Gelder im Hochwasserschutz bestmöglich einzusetzen und Investitionen zu priorisieren, werden Entscheidungshilfen zurate gezogen, z.B. Kosten-Nutzen-Analysen. Für solche Entscheidungshilfen sind umfassende, großmaßstäbliche Risikobewertungsmodelle unverzichtbar.
Mit dem Regionalen Hochwassermodell (RFM) wurden nun erstmals räumlich konsistente Hochwasserrisikoabschätzungen für die Bereiche „Wohngebäude“, „Gewerbe“ und „Landwirtschaft“ in Deutschland abgeleitet. Es handelt sich um ein prozessbasiertes Hochwasserrisikomodell, welches die Sektion Hydrologie des GFZ entwickelt hat. Es koppelt den Wettergenerator, der räumlich konsistente Niederschlagsfelder liefert, mit den hydrologischen und hydrodynamischen Modellen, welche Prozesse wie die Überflutung von Deichen und die Wasserspeicherung im Hinterland berücksichtigen. Die resultierenden Überschwemmungskarten, welche sowohl die Überschwemmungstiefen als auch die Überschwemmungsdauer anzeigen, werden mit räumlich hochaufgelösten sektorspezifischen Vermögenswerten (Gewerbe, Wohngebäude, Landwirtschaft) verschnitten. Auf dieser Grundlage schätzen detaillierte Hochwasserschadensmodelle die Schäden an den betroffenen Objekten. Das RFM erstellt einen Hochwasserereignis-Katalog auf Basis von 5000 simulierten Jahren. Aus diesem Katalog leiten wir Hochwasserrisikokurven pro Wirtschaftszweig ab. Das Modell berücksichtigt räumliche Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Einzugsgebieten, welche in vergleichbaren Modellen typischerweise ignoriert werden. Diese Berücksichtigung verhindert die Überschätzung der Schäden von Ereignissen mit einem hohen Wiederkehrintervall, die mehrere Einzugsgebiete betreffen, da diese hier nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Die Berücksichtigung der Abhängigkeiten ermöglicht somit eine realistischere Beurteilung des Hochwasserrisikos.
Anhand der Hochwasserrisiko-Kurven schätzen wir den erwarteten jährlichen Schaden für Deutschland auf 529 Millionen Euro. Die finanziellen Schäden bei einem Hochwasser, mit welchem nur alle 200 Jahre gerechnet werden muss, belaufen sich auf 8,865 Milliarden Euro. Der gewerbliche Sektor hat mit etwa 60% das größte Gesamtrisiko, gefolgt vom Wohnsektor. Der landwirtschaftliche Sektor ist vor allem von häufigen Hochwassern betroffen, trägt aber nur zu weniger als 3 % zum Gesamtrisiko bei. Auf Elbe, Donau und Rhein und ihre Einzugsgebiete entfällt etwa 90 Prozent des Gesamtrisikos.
Unsere Ergebnisse bestätigen die Investitionsentscheidungen des nationalen Hochwasserschutzprogramms und unterstreichen die Notwendigkeit, Unsicherheiten in der Hochwasserrisikobewertung auch für Extremereignisse zu quantifizieren, zu kommunizieren und weiter zu reduzieren. Die vorgestellten Ergebnisse sollten als erste Abschätzungen betrachtet werden, die als Maßstab für zukünftige deutschlandweite Hochwasserrisikobewertungen dienen können.
Original Publikation: Sairam, N., Brill, F., Sieg, T., Farrag, M., Kellermann, P., Nguyen, V. D., et al. (2021). Process-based flood risk assessment for Germany. Earth's Future, 9, e2021EF002259. https://doi.org/10.1029/2021EF002259
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