Erdbebenwellen breiten sich über und durch den gesamten Erdball aus. Aus den Geschwindigkeiten und Ablenkungen der Bebenwellen lassen sich Aussagen über die Beschaffenheit der Erdkruste und des Erdinneren treffen. Doch manche Eigenheiten haben Forschende bislang vor Rätsel gestellt – eines davon scheint jetzt gelöst zu sein: Laborexperimente haben gezeigt, warum sich Erdbebenwellen im Erdmantel unterschiedlich schnell ausbreiten. Forschende unter der Leitung von Julia Immor vom Bayerischen Geoinstitut an der Universität Bayreuth berichten darüber in der Fachzeitschrift Nature. An den Hochdruckexperimenten beteiligt war Sergio Speziale vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ.
Entscheidend für die Anomalien in der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Bebenwellen ist ein Mineral namens Davemaoit, das bis vor kurzem lediglich theoretisch vorhergesagt und erst 2021 tatsächlich nachgewiesen wurde. Dieses Mineral aus Kalzium und Siliziumoxid (CaSiO3) bildet sich in einer Tiefe von mehreren hundert Kilometern unter extrem hohem Druck und bei fast tausend Grad Celsius. Diese Bedingungen haben die Forschenden mit einer Diamantstempelzelle und einem nur wenige Millimeter großen, selbstgefertigten Graphitbrennofen nachgestellt und die glühend heiße Probe am Deutschen Elektronensynchrotron DESY durchleuchtet. Dabei stellte sich heraus, dass Davemaoit plötzlich sehr weich wurde.
Die Forschenden schließen daraus auf folgendes Szenario im Erdinneren: Wenn die tektonischen Platten mit der Kruste ins Erdinnere abtauchen, weicht die dünne Schicht der Erdkruste, die auf den tektonischen Platten sitzt, erheblich auf. Beim weiteren Abtauchen kann sich die Kruste dann von der Platte ablösen, fast so als ob Davemaoit zum Schmiermittel würde. Die abgelöste Erdkruste hat andere Eigenschaften als der restliche Erdmantel. Darauf gehen die Anomalien in der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Bebenwellen zurück.
Die Erkenntnisse zu dem Mineral Davemaoit sind nicht zuletzt auch deshalb bedeutsam, weil CaSiO3 in der basaltischen Ozeankruste einen beträchtlichen Anteil von, je nach Tiefe, bis zu 25 Prozent ausmacht. An der Untersuchung waren Forschende der Universitäten von Bayreuth, Oxford und Utah sowie vom GeoForschungsZentrum Potsdam GFZ, vom California Institute of Technology und von DESY beteiligt. Das Projekt wurde zum Teil von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG finanziert.
Originalstudie: J. Immoor, L. Miyagi, H.-P. Liermann, S. Speziale, K. Schulze, J. Buchen, A. Kurnosov, H. Marquardt: Weak Cubic CaSiO3 Perovskite in Earth’s Mantle; in: Nature (DOI: 10.1038/s41586-021-04378-2)
Link: https://doi.org/10.1038/s41586-021-04378-2
Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Sergio Speziale
Wissenschaftler
Chemie und Physik der Geomaterialien
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