Die geomagnetischen Stürme des Frühjahrs haben gezeigt: Bei starker Sonnenaktivität können Polarlichter bis nach Mitteleuropa sichtbar sein. Doch die spukhaften ästhetischen Phänomene werden von handfesten Gefahren für Satelliten und digitale Infrastruktur begleitet. Das „Space Weather Service Network“ der ESA hilft – unterstützt unter anderem vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ – dabei, diese Gefahren aus dem Weltraum abzuwenden. Dabei werden die dafür wichtigen Datenprodukte regelmäßig aktualisiert.
In einem digitalisierten Zeitalter ist Europa zunehmend abhängig von der Unversehrtheit hochempfindlicher, digitaler Infrastruktur. Doch potenzielle Gefahren sind nicht zwingend irdischer Natur. Sie können auch aus dem All kommen, als Auswirkungen des sogenannten Weltraumwetters, in Form elektromagnetischer Strahlung und geladenen Teilchen von der Sonne. Der Schutz vor Auswirkungen des Weltraumwetters auf die Erde spielt eine Schlüsselrolle im „Space Safety Programme“ der europäischen Raumfahrtbehörde ESA, welches sich ganz grundsätzlich mit dem Schutz unseres Planeten vor natürlichen Gefahren aus dem Weltraum beschäftigt. Forschende des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) liefern für diesen Zweck wichtige Datenprodukte.
Weltraumwetter und seine Ursachen
Tatsächlich hat Weltraumwetter mit dem klassischen Wetterbegriff nur bedingt zu tun, denn im Weltraum gibt es weder Wolken, noch Regen oder Sturm – jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Aber der Weltraum ist kein leerer Raum und nicht frei von Turbulenzen: Es fliegen geladene und ungeladene Teilchen in teilweise sehr hohen Geschwindigkeiten, und der Raum ist von variierenden elektromagnetischen Feldern durchdrungen. Der Begriff Weltraumwetter beschreibt die Veränderungen des Weltraums, meist im erdnahen Bereich.
Die Hauptursachen dieses Phänomens sind die kosmische Strahlung und der Sonnenwind, dessen Intensität von der Sonnenaktivität abhängt. Sonneneruptionen und koronale Masseauswürfe schleudern in unregelmäßigen Abständen sowohl Strahlung als auch große Mengen elektrisch geladener Materie von der Sonne in den Weltraum – teilweise auch in Richtung Erde. Durch diese unregelmäßigen Ereignisse kann der stetige Sonnenwind in der Intensität extrem variabel sein.
Das Erdmagnetfelds wirkt als natürlicher Schutz vor Partikelstrahlung und Sonnenwind aus dem Weltraum. Lediglich an den Übergangszonen der Magnetfeldlinien am Nord- und Südpol gibt es sogenannte „Cusps“, trichterförmige Regionen, in denen der Sonnenwind ungehindert bis zur Ionosphäre, dem ionisierten oberen Teil der Atmosphäre, gelangen kann. „Ein wesentlich intensiverer Sonnenwind kann jedoch einen enormen Druck auf die Magnetosphäre ausüben und sie so verformen, dass hochenergetische Strahlung sowie elektrisch geladene Materie auch in unseren Breiten die Atmosphäre und daraufhin den Erdboden erreichen können. Zum Beispiel können geomagnetisch induzierte Ströme Einflüsse auf Stromleitungen und die Transportinfrastuktur haben“, sagt Guram Kervalishvili, Wissenschaftler in der Sektion 2.3 „Geomagnetismus“ und Projektmanager für die ESA Swarm Mission und ESA Space Weather Aktitvitäten am GFZ. „Deswegen ist es wichtig, dass der Risikofaktor Weltraumwetter auch in europäischen Ländern wie Deutschland ernst genommen wird.“
Das „Space Weather Service Network“
Um das Weltraumwetter vorhersagen und Gefahren eindämmen zu können werden Daten benötigt, die von Messinstrumenten auf der Erde und in Erdnähe und bis hin zur Sonne aufgezeichnet werden. Das „Space Weather Service Network“ der ESA, zu dem auch das GFZ beiträgt, stellt auf Grundlage dieser Daten Produkte und Informationen zum Weltraumwetter für Endnutzer bereit. Dabei stellt das GFZ eine von 52 Gruppen von 45 Organisationen aus 17 Ländern (SWESNET Konsortium), die ein Netzwerk aus sogenannten „Expert Service Centres“ formen. Die Entwicklung und Aktivitäten des Netzwerks werden vom Belgischen „User Support and Operations Centre“ als Leitung des SWESNET Konsortiums und dem „Space Safety Programme Office“ der ESA in Darmstadt koordiniert.
Das Gefahrenpotenzial des Weltraumwetters
Warum ein solches Netzwerk so wichtig ist, zeigt auch ein Blick auf potentielle Auswirkungen von Weltraumwetterveränderungen. Die Folgen für die Infrastruktur auf der Erde und für Satelliten im Bereich um die Erde können durchaus verheerend sein. Der verstärkte Sonnenwind löst einen sogenannten geomagnetischen Sturm aus. Die Stärke des Erdmagnetfelds fluktuiert und kann in Stromleitungen einen kurzen, aber großen Strom induzieren, der wiederum Transformatoren beschädigt. Auch elektronische Geräte und Halbleiterelemente können dadurch Schaden nehmen – sowohl auf dem Erdboden als auch in der Erdumlaufbahn.
Aber auch in der Atmosphäre verändert der Sonnenwind die Gegebenheiten. Das wohl bekannteste Phänomen sind Polarlichter. Sie entstehen, weil elektrisch geladene Teilchen durch Zusammenstöße Atome und Moleküle in der Erdatmosphäre zum Leuchten anregen, quasi durch Erhitzung die Gase in den oberen Atmosphärenschichten zum Leuchten anregen. Durch die Verformung der Magnetosphäre bei geomagnetischen Stürmen sind gerade erst in den vergangenen Wochen sogar in vergleichsweise polfernen Gefilden wie Mitteleuropa und Japan Polarlichter aufgetaucht, betont der Plasmaphysiker Kervalishvili.
Änderungen der Elektronendichte in der Ionosphäre können zudem Störungen im GPS-Signal erzeugen. Außerdem verfälscht eine veränderte Ionosphäre die im Radio- und Funkbereich eingesetzte Kurzwellenstrahlung, die sich zur Überwindung von großen Distanzen den reflektierenden Charakter dieser Atmosphärenschicht zunutze macht. Die hohe Energiezufuhr durch den stärkeren Sonnenwind kann aber auch zu einer lokalen Aufheizung der oberen Atmosphäre führen. Sie dehnt sich in Richtung Weltraum aus, was zu erhöhter Temperatur und Dichte führt. Das kann Satelliten ausbremsen und letztendlich zu ihrer Zerstörung führen: Anfang 2022 verglühten auf diese Art und Weise 40 „Starlink“-Satelliten des US-amerikanischen SpaceX-Gründers Elon Musk.
Beteiligung des GFZ im Weltraumwetter-Netzwerk: Bereitstellung wichtiger Kennwerte für das Weltraumwetter
Diese wenigen Beispiele reichen bereits, um zu zeigen, wie wichtig das Erkennen und Vorhersagen derartiger Gefahren ist. Das Deutsche GeoForschungsZentrum GFZ stellt nun schon seit 2016 Produkte hierfür bereit, die auf zwei verschiedenen Datenquellen basieren. Zum einen werden mithilfe von Daten aus In-situ-Messungen der Satellitenmission Swarm der ESA aussagekräftige Indizes zur Bewertung der aktuellen Situation in der Ionosphäre berechnet. Diese Werte sind essentiell für das Erkennen von Störungspotenzial bei der GPS-Kommunikation. Die wichtige Kenngröße des Gesamtelektroneninhalts (TEC) beschreibt den Einfluss des Sonnenwindes auf die Beschaffenheit der Atmosphärenschicht. Von diesem Wert leitet das GFZ weitere Indizes ab, die besonders Nutzern im Bereich der Satellitennavigation relevante Informationen über minimale Fluktuationen in der Ionosphäre verschaffen.
Zum anderen sammelt das GFZ Messdaten von 13 geomagnetischen Observatorien auf der ganzen Welt und berechnet daraus den sogenannten Kp-Index, der eine Aussage über die globalen Schwankungen des Erdmagnetfelds und die daraus abgeleitete Intensität des Sonnenwindes trifft. Der Kp-Index hat den Nachteil, dass er nur eine geringe zeitliche Auflösung hat: Seine Werte werden nur für dreistündige Intervalle angegeben. Zudem kann er keinen höheren Wert als neun annehmen. Deswegen wurden 2020 neue Indizes am GFZ entwickelt, die eine höhere Auflösung von 30 oder 60 Minuten haben und die einen beliebig hohen Wert annehmen können. Sie sind seitdem ebenfalls auf der ESA-Plattform abrufbar.
Weltraumwetter-Produkte des GFZ
Mittlerweile hat sich die Anzahl der vom GFZ angebotenen Weltraumwetter-Produkte auf 18 erhöht. Die bereitgestellte Produktpalette wird regelmäßig aktualisiert und erweitert. Erst Ende 2022 wurden zwei Produkte überarbeitet und ein weiteres hinzugefügt. So leistet das GFZ auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Gefahreneinschätzung- und -vermeidung in Sachen Weltraumwetter.
Ausprobieren kann das ESA Space Weather Service Network jede:r. Die Daten sind nach einer kostenlosen Registrierung frei verfügbar. Die vom GFZ herausgegebenen geomagnetischen Indizes können auch ohne Registrierung hier eingesehen werden.
Martin Ehmler