Rückschau in 11 Fragen & Antworten auf das Hochwasser in Österreich, Tschechien, Polen und Deutschland im September 2024
Europa ist in den vergangenen Monaten von zahlreichen schweren Unwetter- und Hochwasserereignissen betroffen, mit vielen Toten und großen Schäden. Aktuell erlebt der Südosten Spaniens katastrophale Unwetter und Überflutungen.
Im September 2024 haben extreme, langanhaltende Niederschläge insbesondere in Österreich, Tschechien, Polen, Rumänien und der Slowakei zu großflächigen Überschwemmungen geführt. In Deutschland waren die Auswirkungen weniger gravierend als bei den großen Hochwasserereignissen vom Winter 2023/24 und Juni 2024.
Hier antworten Expert:innen des Helmholtz-Forschungsbereich Erde und Umwelt auf 11 wichtige Fragen rund um Ursachen und Folgen, Vorhersage-, Schutz- und Anpassungsmöglichkeiten, und sie ordnen das Ereignis in die Reihe schwerer Hochwasserereignisse der jüngsten Vergangenheit sowie in den Kontext Klimawandel ein.
Beteiligt sind Wissenschaftler:innen des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung UFZ und des Karlsruher Instituts für Technologie KIT (im Detail: s.u.).
1. Was waren die Ursachen für die extreme Hochwasserlage und was war daran außergewöhnlich?
Die übergeordnete Ursache war eine "Vb-Zyklone". Der Begriff geht auf den deutschen Meteorologen Wilhelm Jacob van Bebber zurück, der 1891 eine Arbeit über bevorzugte Zyklonenstraßen veröffentlichte, die er mit römischen Zahlen durchnummerierte. Heute wissen wir, dass lediglich seine Zyklonenstraße Vb immer wieder von Tiefdruckgebieten bevorzugt durchwandert wird.
Meteorologisch entsteht dieses Tief über Oberitalien, oft auch über dem Golf von Genua, wenn ein Höhentrog mit höhenkalter Luft über die Alpen hinweg bis in den nördlichen bzw. zentralen Mittelmeerraum vorstoßen kann. Der Höhentrog steuert dieses Tief dann gewöhnlich nordostwärts über die Alpen hinweg nach Mittel- bzw. Osteuropa und das Baltikum.
Sehr niederschlagswirksam ist dabei, dass das Tief feuchte Mittelmeerluft unter anderem aus der Adria anzapft und östlich um die Alpenbarriere herumführt. Über Mittel- bzw. Osteuropa äußert sich das in einer Südost-bis Ostströmung oft in Schichten oberhalb von 2-3 km vom Boden, denn diese warmfeuchte Mittelmeerluft gleitet auf einer bodennahen, von der Nord- und Ostsee ausgehenden, kalte Nord- bis Nordwestströmung.
Die intensiven Niederschläge kommen dabei durch das Aufgleiten der Mittelmeerluft auf die kalte Nordwestströmung und den Nordstau an Ost-West Gebirgsbarrieren wie den Alpen, dem Erz-, Riesen-, oder Altvatergebirge oder der Hohen Tatra zustande. Besonders kritisch werden dann Situationen, wenn das Vb-Tief und seine Fronten länger stationär bleiben. Dieses Zusammenspiel war für das Elbehochwasser 2002 und den bisher in Deutschland höchsten Tagesniederschlag von 312 mm im Stau des Erzgebirges im August 2002 verantwortlich (Ulbrich et al. (2003)). Auch das Oderhochwasser 1997 und das Juni-Hochwasser 2024 in Bayern und Baden-Württemberg traten in Zusammenhang mit Vb-Lagen auf.
Vb-Zyklonen können das ganze Jahr über auftreten, kommen aber gehäuft im Frühjahr und Herbst vor. Ein aufgeheiztes Mittelmeer im Sommer und Herbst stellt dabei für die Niederschläge besonders viel Feuchte bereit.
Außergewöhnlich an dem Ereignis im September 2024 war die Stationarität und damit Andauer der Wetterlage. Darüber hinaus wurden im Mittelmeer Rekordwassertemperaturen registriert. Das hat dazu beigetragen, dass das Tiefdruckgebiet große Menge an feuchten Luftmassen anzapfen und transportieren konnte. Die Hitzewelle, die im Juli 2024 den mediterranen Raum heimgesucht hat, wäre laut den Untersuchungen vom wissenschaftlichen Konsortium „World Weather Attribution“ ohne menschengemachten Klimawandel praktisch unmöglich gewesen. Sie hat damit auch zu den Rekordwassertemperaturen beigetragen.
Publikationen und Quellen:
Ulbrich, U., T. Brücher, A. H. Fink, A. Krüger and G.C. Leckebusch, J. Pinto, 2003: The central European floods in August 2002. Part II: Synoptic causes and considerations with respect to climate change. Weather, 58 (10), 434-442, https://doi.org/10.1256/wea.61.03B
2. Was sind die Unterschiede zum Hochwasser im Juni 2024 oder zum Winterhochwasser 2023/24?
Verschiedene meteorologische Faktoren sowie Kombinationen aus Niederschlagsmengen bzw. -intensitäten, der Wasseraufnahmefähigkeit des Bodens und der Topographie des Einzugsgebiets können zu Hochwasserereignissen führen, die sich in ihrer räumlichen Ausdehnung sowie in der Höhe, Dauer und Dynamik der Überflutungen deutlich unterscheiden können (Merz, Tarasova & Basso, 2020).
Das Winterhochwasser 2023/24 wurde nicht von einem Vb-Tief, sondern von wiederholten atlantischen Tiefdruckgebieten in einer Westlage verursacht. Insofern war es ein typisches Winterhochwasser wie im Januar 1995 am Rhein ohne die Anteile der Schneeschmelze (Fink et al. 1996). Das Hochwasser im Juni 2024 war dagegen auch auf eine Vb-Lage zurückzuführen. Hier lag die Zugbahn der Tiefdruckgebiete aber weiter westlich als im September 2024.
Die Niederschlagsmengen waren beim September-Hochwasser deutlich höher als im Juni 2024 und Winterhochwasser 2023/2024. Der Schwerpunkt der Niederschläge lag vor allem in Österreich, Tschechien, Polen, Rumänien und Slowakei. Damit waren vergleichsweise kleine Gebiete in Deutschland direkt von Hochwasser betroffen. Großräumige Überschwemmungen etwa entlang der Oder blieben aus.
Neben der Niederschlagsdynamik ist aber auch die Bodenfeuchte entscheidend für die Größe der Hochwasserabflüsse (Merz, Tarasova & Basso, 2020). Im Herbst 2023 waren die Böden kaum noch in der Lage, zusätzlichen Niederschlag aufzunehmen. Die Kombination aus Niederschlägen und Schneeschmelze um die Weihnachtszeit 2023 führte dann zu erheblichen Abflussmengen in vielen deutschen Flüssen und der daraus resultierenden Hochwasserlage. Im Unterschied zur Hochwassersituation in Süddeutschland im Juni 2024 und dem September-Hochwasser waren jedoch die Niederschlagsintensitäten zum Jahreswechsel 2023/24 geringer, sodass in zahlreichen Flüssen keine extremen Hochwasserabflüsse auftraten und der Hochwasserschutz extreme Schäden verhindern konnte.
Im September 2024 waren die Böden im Elbe-Einzugsgebiet sehr trocken und konnten daher als Hochwasserretentionsraum fungieren. Die langanhaltenden Niederschläge haben dazu geführt, dass das Niederschlagswasser auch in den Boden einsickern konnte. Zwischen dem 8. und 23. September sind die höchsten Niederschläge in Bayern und insbesondere Berchtesgaden gefallen, aber auch in Sachsen sind großflächig mehr als 100 mm gefallen (Abb. 1, links (im Slider oben)). Hier wurde der größte Anteil mit bis zu 80% des Niederschlags dem Boden zugeführt, so dass die Zuflüsse von Elbe und Oder in Deutschland keine wesentliche Verschärfung der Hochwassersituation gebracht haben (Abb. 1, rechts).
Publikationen und Quellen:
Fink, A., U. Ulbrich, and H. Engel, 1996: Aspects of the January 1995 flood in Germany. Weather, 51 (2), 34-39
Merz, R., Tarasova, L., and Basso, S. (2020). The flood cooking book: ingredients and regional flavors of floods across Germany. ERL, 15(11), 114024. https://doi.org/10.1088/1748-9326/abb9dd
3. Kam es in den letzten Jahren oder Jahrzehnten häufiger zu solchen extremen Ereignissen?
(Hinweis: Siehe auch Frage/Antwort Hochwasser Juni 2024)
Aus einer StudiederGeoSphere Austria – Bundesanstalt für Geologie, Geophysik, Klimatologie und Meteorologie in Österreich geht hervor, dass Vb-Lagen nicht häufiger auftreten, aber intensiver werden.
In Mitteleuropa und Nordwesteuropa sind überwiegend statistisch signifikante Zunahmen der Hochwasserabflüsse in den vergangenen Jahrzehnten festgestellt worden, d.h. die Hochwasserstände haben großräumig zugenommen (Blöschl et al., 2019).
Wir sehen in den Beobachtungsdaten auch, dass Extremniederschläge zunehmen. Eine Studie hat beispielsweise die Anzahl von Rekordniederschlägen von tausenden Klimastationen ausgewertet. Es zeigte sich, dass in den letzten Jahren die Anzahl von Rekordniederschlägen, also Niederschlägen, die bisher an diesen Stationen noch nicht gemessen wurden, weltweit um 30 Prozent höher liegen, als man in einer Welt ohne Klimawandel erwarten würde (Robinson et al., 2021).
Publikationen und Quellen:
Blöschl, G., Hall, J., Viglione, A., Perdigão, R. A. P., Parajka, J., Merz, B., . . . Živković, N. (2019). Changing climate both increases and decreases European river floods. Nature, 573(7772), 108-111. doi.org/10.1038/s41586-019-1495-6
Robinson, A., Lehmann, J., Barriopedro, D., Rahmstorf, S., & Coumou, D. (2021). Increasing heat and rainfall extremes now far outside the historical climate. Npj Climate and Atmospheric Science, 4(1), 3–6. https://doi.org/10.1038/s41612-021-00202-w
https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/news/deutlich-mehr-regen-als-bei-frueheren-extremereignissen
4. Welche Rolle spielt dabei der Klimawandel? Müssen wir künftig häufiger mit solchen oder gar noch schlimmeren Ereignissen rechnen?
Der Klimawandel verändert die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten von extremen Wetterereignissen und damit von Überschwemmungen. Diese Veränderungen sind aber regional und für verschiedene Hochwassertypen unterschiedlich (Kemter et al., 2020; Tarasova et al., 2023). Eine sehr direkte Verbindung zwischen Klimawandel und Hochwasser besteht bei lokalen Überschwemmungen, ausgelöst durch kurze und heftige Regenfälle, wie zum Beispiel durch Gewitter. Durch die Erderwärmung erhöhen sich insbesondere die lokalen Starkniederschläge, und wir sehen in Deutschland eine Tendenz zu mehr konvektionsträchtigen Wetterlagen.
Die Auswirkungen des Klimawandels auf Flusshochwasser sind weniger eindeutig. Hier kommt es auf das Zusammenspiel von Starkniederschlag und Wassergehalt im Einzugsgebiet (z.B. im Boden und Grundwasser) an. Außerdem spielen in Gebirgsregionen die Auswirkungen des Klimawandels auf Schneefall und Schneeschmelze eine Rolle. Insgesamt werden wir aber öfter als bisher in eine Situation kommen, in der die bisherigen Schutzmaßnahmen überlastet sind.
Insofern braucht es neben technischen Schutzmaßnahmen wie Deichen und Rückhaltebecken eine bessere Vorbereitung auf solche Extremereignisse. Eine sinnvolle Maßnahme ist die Verbesserung der Warnsysteme und der Reaktion der Bevölkerung bei Extremsituationen (Najafi et al., 2024). Nur wenn die Menschen informiert sind und wissen, was zu tun ist, können sie im Notfall gut reagieren (Kreibich et al., 2021).
Eine weitere Maßnahme ist es, unsere kritische Infrastruktur (z.B. Energie- und Wasserversorgung, Krankenhäuser) und unsere sensible Infrastruktur (z.B. Pflegeheime) Stresstests zu unterziehen, neuralgische Punkte zu identifizieren und dafür zu sorgen, dass in solchen Fällen die Schäden und Ausfälle weitgehend reduziert werden können.
In einer aktuellen Studie des wissenschaftlichen Konsortiums „World Weather Attribution“ wurde der Zusammenhang zwischen den 4-tägigen Niederschlagsmengen beim Ereignis im September 2024 und dem menschengemachten Klimawandel untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit von solchen Ereignissen in der aktuellen 1,3 °C wärmeren Welt im Vergleich zur vorindustriellen Zeit verdoppelt hat. Laut Modell-basierten Analysen hat der menschengemachte Klimawandel auch eine Erhöhung der Niederschlagsintensität um 7 % bewirkt. Dabei spielen die Rekordtemperaturen des Mittelmeers eine Rolle. Diese verstärken die Evaporation von der Wasseroberfläche und die warmen Luftmassen können mehr Feuchte aufnehmen und transportieren. Bei weiter steigenden Temperaturen in Zukunft müssen wir mit weiterer Verstärkung von Niederschlagsintensitäten rechnen.
Publikationen und Quellen:
Husain Najafi, Pallav Kumar Shrestha, Oldrich Rakovec, Heiko Apel, Sergiy Vorogushyn, Rohini Kumar, Stephan Thober, Bruno Merz, and Luis Samaniego: High-Resolution Impact-based Early Warning System for Riverine Flooding. Nature Communications,
https://doi.org/10.1038/s41467-024-48065-y
Kreibich, H., Hudson, P., & Merz, B. (2021). Knowing What to Do Substantially Improves the Effectiveness of Flood Early Warning. Bulletin of the American Meteorological Society, 102(7), E1450-E1463.
https://doi.org/10.1175/BAMS-D-20-0262.1
Kemter, M., Merz, B., Marwan, N., Vorogushyn, S., & Blöschl, G. (2020). Joint Trends in Flood Magnitudes and Spatial Extents Across Europe. Geophysical Research Letters, 47(7), e2020GL087464. https://doi.org/10.1029/2020GL087464
Tarasova, L., Lun, D., Merz, R., Blöschl, G., Basso, S., Bertola, M., Miniussi, A., Rakovec, O., Samaniego, L., Thober, S., Kumar, R. (2023): Shifts in flood generation processes exacerbate regional flood anomalies in Europe, Commun. Earth Environ. 4,
https://doi.org/10.1038/s43247-023-00714-8
5. Ist der Begriff Jahrhunderthochwasser noch angebracht, wenn es häufiger zu solchen schweren Ereignissen kommt?
Aus hydrologischer Sicht sprechen wir nicht von Jahrhunderthochwasser, sondern von 100-jährlichem Hochwasser. Dieser Begriff drückt aus, dass wir durchschnittlich einmal in 100 Jahren mit einem solchen Ereignis an einem bestimmten Ort rechnen müssen. Das bedeutet aber nicht, dass ein solches Ereignis alle 100 Jahre eintritt, denn Extremhochwasser treten nicht regelmäßig auf. Es bedeutet, dass wir in einem bestimmten Jahr eine 1-Prozent-Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis haben. Es können auch mehrere solche Ereignisse in wenigen Jahren auftreten.
Ein weiterer Aspekt ist, dass der Begriff 100-jährliches Hochwasser von einer konstanten Umwelt ausgeht. Durch den Klimawandel und Eingriffe in unsere Landschaften und Flüsse verändert sich aber die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Hochwasser auftritt. In einem sich „schnell“ veränderten Klima verliert dieser statistische Begriff damit seine Grundlage. Was gestern ein 100-jährliches Hochwasser war, kann heute beispielsweise ein 20-jährliches Ereignis sein.
Aus diesen Gründen, aber auch aus psychologischen Gründen, ist der Begriff Jahrhunderthochwasser problematisch. Er kann leicht interpretiert werden als das schlimmste Hochwasser, was in einem Jahrhundert passieren kann. Und wenn ein solches Jahrhunderthochwasser eingetreten ist, klingt es, als ob das nächste vergleichbar schwere Ereignis erst weit in der Zukunft liegen kann. Beides ist aber nicht der Fall. Auch wenn es für Bürger:innen nicht so gut verständlich ist wie der Begriff Jahrhunderthochwasser, wäre es wohl besser, mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten. Und zu vermitteln, dass sich diese Wahrscheinlichkeiten vor allem durch den Klimawandel verändern können.
6. Wie gut lassen sich solche Hochwasserextreme regional vorhersagen?
Das hängt vor allem davon ab, wie gut die Niederschlagsvorhersagen sind. Beim Hochwasser im September 2024 zeigten verschiedene Vorhersagemodelle wie etwa des deutschen oder europäischen Wetterdienstes mehrere Tage im Voraus die enormen Niederschlagsmengen an, auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch Unsicherheiten zur räumlichen Verortung und Menge bestanden. Die Hochwasservorhersagezentren transformieren die vorhergesagten bzw. gemessenen Niederschläge mittels hydrologischer und hydrodynamischer Modelle in Abflüsse in den verschiedenen Flüssen.
Im Gegensatz zu den Abflussvorhersagen für kleine Gebiete sind die Vorhersagen von Abflüssen und Wasserständen für größere Flüsse zumeist sehr gut. Ein Vorteil bei größeren Flüssen ist, dass sich die Hochwasserwelle über eine längere Zeit im Flusssystem befindet. Diese Prozesse können besser erfasst und mit geringeren Unsicherheiten simuliert werden als die atmosphärischen Prozesse und die Prozesse in den Einzugsgebieten.
Probleme bei der Vorhersage an größeren Flüssen ergeben sich vor allem dann, wenn größere Ausuferungen z.B. durch Deichbruch auftreten. Deichbrüche können nicht vorhergesagt werden, können aber die Hochwasserwelle deutlich verändern, indem die Ausuferungen den Scheitel der Hochwasserwelle unterhalb des Deichbruchs reduzieren. Eine Herausforderung bei solchen grenzüberschreitenden Ereignissen ist die Kooperation zwischen mehreren Ländern bzw. Bundesländern. Hier haben die grenzüberschreitenden Hochwasser-Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte die Abstimmung etwa zur Weitergabe von Daten in Echtzeit deutlich verbessert.
7. Wie ist der Hochwasserschutz in Deutschland vorangekommen? Wieviel hat sich in den vergangenen Jahren entwickelt und verbessert?
Die Maßnahmen zum technischen Hochwasserschutz wie der Bau von Deichen, Dämmen und Retentionsräumen reichen mehrere Jahrzehnte zurück. Nach dem Hochwasser 2013 im Elbe- und Donaugebiet, das ebenfalls wie das September-Hochwasser durch einen Vb-Zyklon ausgelöst wurde, beschloss die Umweltministerkonferenz die Erarbeitung und Umsetzung des Nationalen Hochwasserschutzprogramms (NHWSP), um den Hochwasserschutz weiter zu verstärken. Das Programm umfasst insgesamt 242 Einzelmaßnahmen an Donau, Elbe, Rhein, Oder und Weser, darunter 33 Deichrückverlegungen und 61 gesteuerte Hochwasser-Retentionsräume. Das geschätzte erforderliche Investitionsvolumen beträgt 6,7 Milliarden Euro.
Die Wirksamkeit der geplanten Maßnahmen hat die Bundesanstalt für Gewässerkunde im Auftrag des Umweltbundesamts in einer modellbasierten Studie untersucht und positiv bewertet.
Allerdings wurden bis zum November 2022 nur 9 Maßnahmen umgesetzt. Die meisten Maßnahmen befinden sich noch in der Konzeptions-, Planungs-, Genehmigungs- oder Bauphase. Um u.a. die Planungsfeststellungs- und Planungsgenehmigungsverfahren zu beschleunigen, kündigte das Bundesumweltministerium ein neues Hochwasserschutzgesetz an. Ein solches Gesetz wäre ein wichtiger Schritt, um im Wettlauf mit dem Klimawandel im Rennen bleiben zu können.
Gleichzeitig zeigen standardisierte Befragungen in hochwasserbetroffenen Gebieten, dass der Anteil von Haushalten, die Vorsorge gegenüber Hochwasser, Starkregen und Sturmfluten betreiben und umsetzen, in den letzten Jahren zugenommen hat. Je häufiger ein Haushalt von Überflutung betroffen ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Vorsorge umgesetzt wird (Köhler et al. 2023). Das umfasst sowohl Verhaltensvorsorge und den Abschluss von Versicherungen als auch bauliche Vorsorge.
Publikationen und Quellen:
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/untersuchungen-zur-ermittlung-der-wirkungen-von
LAWA (2023): 10 Jahre Nationales Hochwasserschutzprogramm (NHWSP). Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA). https://www.lawa.de/documents/230531-broschuere-10-jahre-nhwsp-barr_1685951529.pdf
https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaanpassung/hochwasserschutz_bf.pdf
Köhler, L., Masson, T., Köhler, S., Kuhlicke, C. (2023): Better prepared but less resilient: the paradoxical impact of frequent flood experience on adaptive behavior and resilience. Nat. Hazards Earth Syst. Sci. 23 (8), 2787 – 2806 10.5194/nhess-23-2787-2023 https://nhess.copernicus.org/articles/23/2787/2023/
8. Was muss noch besser werden bei Schutz- und Vorsorgemaßnahmen?
Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass Hochwasser, bei denen gleichzeitig mehrere Einzugsgebiete und Flussabschnitte betroffen sind, zunehmen (Kemter et al., 2020, Fang et al., 2024). Diese zunehmende Ausdehnung ist auf die Veränderung der Hochwasserprozesse zurückzuführen, die mit den aktuellen Klimaänderungen im Einklang gesehen werden können.
Beim September-Hochwasser spielte die bereits genannte Stationarität bzw. Dauer des Niederschlagsereignisses eine besondere Rolle. Solche Ereignisse stellen den Hochwasserschutz vor große Herausforderungen.
Eine grenzüberschreitende Kooperation wird zunehmend wichtiger – sowohl bei dem zeitnahen Datenaustausch, der Kommunikation der Vorhersagen und bei der Bewältigung von Hochwasserlagen als auch für den koordinierten Hochwasserschutz und Vorsorgemaßnahmen. Zum Beispiel wird die flächendeckende Stärkung von Einsatzkapazitäten, technischer Ausrüstung und Logistik nötig sein, um innerhalb eines kurzen Zeitraums in mehreren Kommunen und Gemeinden die Hochwasserfolgen bewältigen zu können.
Publikationen und Quellen:
Fang, B., Bevacqua, E., Rakovec, O., and Zscheischler, J. (2024): An increase in the spatial extent of European floods over the last 70 years, EGUsphere [preprint],
https://doi.org/10.5194/egusphere-2023-2890
Fünf Prinzipien für klimasichere Kommunen und Städte (2021) https://www.ufz.de/index.php?de=40374
Kemter, M., Merz, B., Marwan, N., Vorogushyn, S., & Blöschl, G. (2020). Joint Trends in Flood Magnitudes and Spatial Extents Across Europe. Geophysical Research Letters, 47(7), e2020GL087464. https://doi.org/10.1029/2020GL087464
9. Kommt die Pflichtversicherung für Elementarschäden?
Das Thema einer Pflichtversicherung für Elementarschäden wie Hochwasser und Überschwemmung wird seit vielen Jahren diskutiert, insbesondere nach schweren Hochwasserereignissen wie dem Elbe-Hochwasser 2002 oder dem Ahr-Hochwasser und angrenzenden Regionen 2021. In beiden Fällen stellte der Bund den Betroffenen Hilfen in Milliardenhöhe aus Steuergeldern zur Verfügung. In Deutschland sind laut Gesamtverband der Versicherer (GDV) rund 50 Prozent aller Privathäuser gegen Elementarschäden versichert, wobei die Quoten je nach Bundesland sehr unterschiedlich ausfallen (Baden-Württemberg: 94%; Bremen 31%).
Obwohl die Länder schon seit langer Zeit eine Pflichtversicherung fordern, haben sich Bund und Länder bei der Ministerpräsidentenkonferenz am 20. Juni 2024 in Berlin nicht auf eine Versicherungspflicht für Elementarschäden einigen können. Sowohl der GDV als auch Bundesjustizminister Marco Buschmann lehnen das ab. Der Vorschlag der Bundesregierung, eine Angebotspflicht für die Versicherungen einzuführen, ging den Ländern nicht weit genug.
Ob die Pflichtversicherung für Elementarschäden damit endgültig vom Tisch ist, lässt sich aus heutiger Sicht nicht sagen. Klar ist aber, das schwere Hochwasserereignisse bedingt durch den Klimawandel in Zukunft häufiger und intensiver auftreten. Es ist daher anzunehmen, dass das Thema der Pflichtversicherung spätestens nach dem nächsten schweren Hochwasser in Deutschland wieder auf die politische Agenda gesetzt wird.
10. Welche weiteren Langzeitfolgen hat das Hochwasser? Welche Rolle spielen Schadstoffe? Wie kann darauf reagiert werden?
Aus dem Eintrag von fäkalen Keimen ins Hochwasser – u. a. aus Kleinkläranlagen – können sich regionale Problemfälle von einigen Wochen bis Monate ergeben. Keimbelastetes Trinkwasser als Nahrungsmittel ist in diesen Fällen abzukochen und / oder durch die Trinkwasserwerke zu chloren. Eine Keim- bzw. Schadstoffbelastung von überfluteten öffentlichen Spielplätzen ist nicht auszuschließen; dann wird in der Regel eine Nutzung behördlich untersagt bis diese Plätze durch kommunale Behörden wieder freigegeben werden.
Schimmelbefall überfluteter Gegenstände, der auch längerfristig anhalten kann, kann gesundheitsschädigende Wirkungen aufweisen. Ggf. ist eine Schutzmaske zu tragen; Hautkontakte sollten vermieden werden (1).
Langfristige, lokale Schäden durch Schadstoffeinträge sind durch ausgetretenes Heizöl aus Heizöltanks / Ölbrennern zu erwarten. Präventionsmaßnahmen werden in der Regel im Internet u.a. durch die zuständigen Ministerien und / oder Landesämter veröffentlicht.
Inwieweit weitere Schadstoffe lokal von in Unterführungen überschwemmten Fahrzeugen ausgetreten sind, ist nicht bekannt. Oftmals wird die Watfähigkeit von PKWs, SUVs und Kleintransportern überschätzt. Wassertiefen von mehr als 20 cm sind mit einem gewöhnlichen PKW kaum passierbar.
Unterschätzt werden auch ge- oder überflutete Kleingartenhäuser oder Keller, in denen oft u.a. Pestizide, Farben und Lösungsmittel gelagert werden. Treten Behälter in den Kontakt mit Wasser, sind lokale Schadstoffbelastungen nicht auszuschließen.
Als eine wesentliche Präventions- und Sicherheitsmaßnahme im Zusammenhang mit hochwasserbedingten Schadstoffaus- bzw. -einträgen sind die Hygieneregeln zu nennen. So rät das Robert Koch-Institut: „sich nach Überschwemmungsgeschehen bei der Reinigung von Häusern und Wohnungen durch Gummistiefel, wasserdichte Handschuhe und wasserabweisende Kleidung vor dem Kontakt mit möglicherweise mit Krankheitserregern verunreinigtem Wasser zu schützen und sich vor der Zubereitung und dem Verzehr von Lebensmitteln sowie dem Rauchen sorgfältig die Hände mit hygienisch einwandfreiem Wasser zu waschen.“ (5) Diese Maßnahmen schützen auch vor Kontakten mit anderen Schadstoffen.
Weitere mögliche hochwasserbedingte Schadstoffeinträge aus dem Bergbau, der Landwirtschaft sowie von Altlasten aus der Industrie und dem Gewerbe sind oftmals sehr regional und so spezifisch, dass keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden können. Einerseits sind die Eigentümer verpflichtet, solche Schadstoffausträge zu melden. Andererseits haben staatliche Behörden Kenntnis von möglichen Belastungsquellen. Bei Verdachtsfällen sind im Nachgang eines Hochwasserereignisses notwendige Untersuchungen entsprechend der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung erforderlich, aus denen sich ggf. Sanierungsmaßnahmen ableiten.
Starke Hochwasser wie das von 2021 sind mit enormen psychosozialen Belastungen verbunden, die auch langfristig wirken. Ein Haushaltsbefragung, die ein Jahr nach dem Hochwasser 2021 durchgeführt wurde, zeigt, dass knapp 30 % der befragten Haushalte Anzeichen von post-traumatischen Belastungsstörungen aufweisen (Zenker et al. 2024). Des Weiteren zeigen Befragungen, dass Haushalte, die besonders häufig von Hochwasser und Starkregen betroffen sind, sich häufig machtlos fühlen, und das, obwohl sie häufig umfassende Vorsorgemaßnahmen umgesetzt haben (Köhler et al. 2023).
Publikationen und Quellen:
(1) Häufige Fragen bei Schimmelbefall.
https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umwelteinfluesse-auf-den-menschen/schimmel/haeufige-fragen-bei-schimmelbefall#haufige-fragen-bei-schimmelbefall, abgerufen 13.06.2024
(2) Hochwasser und Heizölverbraucheranlagen.
https://www.saarland.de/mukmav/DE/portale/wasser/informationen/heizoelverbraucheranlagen/heizoelverbr-hochwasser, abgerufen 13.06.2024
(3) Sichere Heizöllagerung im Überschwemmungsgebiet, abgerufen 13.06.2024
(4) Hochwasser birgt gesundheitliche Risiken.
https://www.swr.de/wissen/hochwasser-in-sueddeutschland-gesundheit-risiko-100.html, abgerufen 13.06.2024
(5) Infektionsrisiken in Überschwemmungsgebieten in Deutschland.
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/U/Ueberschwemmung/Infektionsrisiken.html, abgerufen 13.06.2024
Zenker, M.-L., Bubeck, P., Thieken, A. (2024) Always on my mind: indication of post-traumatic stress disorder among those affected by the 2021 flood event in the Ahr valley, Germany. NHESS, https://doi.org/10.5194/nhess-24-2837-2024
Köhler, L., Masson, T., Köhler, S., Kuhlicke, C. (2023): Better prepared but less resilient: the paradoxical impact of frequent flood experience on adaptive behavior and resilience. Nat. Hazards Earth Syst. Sci. 23 (8), 2787 – 2806 10.5194/nhess-23-2787-2023
https://doi.org/10.5194/nhess-23-2787-2023
11. Müssen bei Anpassungsmaßnahmen die Extreme Starkregen/Hochwasser, Hitzewellen und Trockenheit gemeinsam gedacht werden?
Nicht nur Starkregen- und Hochwasserereignisse nehmen zu, auch Trockenheit und Hitzewellen. Wasser, das bei einem Starkregen- und Hochwasserereignis eigentlich schnell aus der Stadt oder der Landschaft entfernt sein sollte, wird bei der nächsten Hitzewelle zur Kühlung oder bei lang anhaltendender Trockenheit zur Bewässerung dringend benötigt. Deshalb müssen integrierte Wassermanagementkonzepte entwickelt und verwirklicht werden, wie z.B. Schwammstädte und -landschaften. Diese Konzepte sollen die Klimaresilienz des Landschaftswasserhaushalts stärken.
Bessere Infiltrationsmöglichkeiten von Wasser in der Landschaft, Rückhaltebecken und Speicher sind Anpassungsoptionen sowohl für verändernde Starkregen- als auch für Hitze- und Trockenheitsrisiken.
Die erfolgreiche Umsetzung integrierter Konzepte und die Verwirklichung von Synergien bei einzelnen Anpassungsmaßnahmen erfordern inter- und transdisziplinäre Ansätze, die bisher noch nicht umfassend erforscht und abgeleitet sind.
Eine Literaturstudie zu den Interaktionen bei Hochwasser und Dürre zeigt Beispiele, wie Hochwasser- oder Dürre-Risikomanagementmaßnahmen (unbeabsichtigte) positive oder negative Auswirkungen auf das Risiko der anderen Gefahr haben können und wie Hochwasser- oder Dürre-Maßnahmen durch die andere Gefahr negativ beeinflusst werden können (Ward et al. 2020). Beispielsweise gibt es einige Deiche und Dämme, die aufgrund von Trockenheit in Hochwassersituationen versagt haben. Werden jedoch Deiche und Dämme in Trockenperioden bewässert, steht weniger Wasser für andere Zwecke zur Verfügung.
Publikationen und Quellen:
Ward, P. J., de Ruiter, M. C., Mård, J., Schröter, K., Van Loon, A., Veldkamp, T., von Uexkull, N., Wanders, N., AghaKouchak, A., Arnbjerg-Nielsen, K., Capewell, L., Carmen Llasat, M., Day, R., Dewals, B., Di Baldassarre, G., Huning, L. S., Kreibich, H., Mazzoleni, M., Savelli, E., Teutschbein, C., van den Berg, H., van der Heijden, A., Vincken, J. M., Waterloo, M. J., Wens, M. (2020): The need to integrate flood and drought disaster risk reduction strategies. - Water Security, 11, 100070.
https://doi.org/10.1016/j.wasec.2020.100070
Weiterführende Informationen
Die FAQ des GFZ zum Hochwasser im Januar 2024:
Die FAQ von GFZ und UFZ zum Hochwasser im Juni 2024:
UFZ-Website Im Fokus „Fragen und Antworten zu Wasserextremereignissen in Deutschland“:
https://www.ufz.de/index.php?de=51222
Die Expert:innen:
Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ)
https://www.gfz-potsdam.de/
Prof. Dr. Bruno Merz
Dr. Sergiy Vorogushyn
Priv. Doz. Dr. Heidi Kreibich
M.Sc. Elena Macdonald
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
https://www.ufz.de
Prof. Dr. Dietrich Borchardt
Prof. Dr. Ralf Merz
Prof. Dr. Sabine Attinger
Dr. Andreas Marx
Dr. Larisa Tarasova
Dr. Wolf von Tümpling
Prof. Dr. Reimund Schwarze
Karlsruher Institut für Technologie (KIT) & Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM)
https://www.kit.edu
https://www.cedim.kit.edu
Prof. Dr. Andreas Fink
Prof. Dr. Harald Kunstmann
Kontakt Pressestellen
GFZ: Kommunikation & Medien | presse@gfz-potsdam.de
UFZ:Presse- und Öffentlichkeitsarbeit | presse@ufz.de
KIT:Medien/Public Relations | presse@kit.edu