Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

21. Juli 365: "Tag des Schreckens" im Mittelmeer

Das größte je aufgezeichnete Erdbeben im Mittelmeerraum und der folgende Tsunami helfen beim Verständnis moderner Gefahren.

Am Morgen des 21. Juli 365 n. Chr. wurde das östliche Mittelmeer von einem Erdbeben erschüttert, von dem allgemein angenommen wird, dass es das stärkste je aufgezeichnete Erdbeben des Mittelmeerraums ist. Seinen Ursprung hatte es vermutlich in der Nähe der Insel Kreta in Griechenland. Der Tsunami, der daraufhin folgte und die Mittelmeerküsten traf, forderte viele Todesopfer. In Alexandria war die Verwüstung durch den Tsunami so groß, dass des Tages noch Jahrhunderte später als "Tag des Schreckens" gedacht wurde.

Das Erdbeben war stark genug, um Teile von Kreta um mehrere Meter anzuheben. Diese Hebung der Insel hinterließ fossile Küstenlinien, die Richard Ott vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ mit seinen Kollegen untersuchte, um das Ereignis rekonstruieren zu können. Ihre Studie wurde im wissenschaftlichen Journal AGU Advances veröffentlicht. Die Wissenschaftler nutzten die Methode der Radiokohlenstoff-Datierung, um zu verstehen, wann und wie stark die Küstenlinien auf Kreta gehoben wurden. Mit diesen Informationen konnten sie auch den Ursprung der Erdbeben und Tsunamis modellieren. Zu wissen, welche Verwerfung, d.h. Bruchstelle in der Erdkruste, Ursprung des Erdbebens war, ist auch für die Abschätzung der künftigen Erdbeben- und Tsunamigefahr im Mittelmeerraum entscheidend.

Hebung von Kreta und fossile Küstenlinien


Ein Hinweis darauf, welche enormen Kräfte Kreta emporhoben, kann bei den Ruinen der antiken Hafenstadt Phalasarna im Westen Kretas gefunden werden. Menschen, die heutzutage dort zu Besuch sind, können den schönen, perfekt erhaltenen Kai eines Hafens aus Römischer Zeit erkunden. Allerdings liegt dieser Kai inzwischen mehrere hundert Meter vom Meer entfernt und etwa sieben Meter über dem Meeresspiegel.

Es gibt ein anderes eigenartiges Phänomen im Westen Kretas. Dort ist in den Küstenklippen eine sogenannte Brandungshohlkehle erkennbar. Diese Einkerbung ist eine fossile Küstenlinie, die anzeigt wo der Meeresspiegel in der Vergangenheit war. Sie liegt bis zu neun Meter über dem heutigen Meeresspiegel und wurde hauptsächlich von Erdbeben emporgehoben.

Wann hat die Hebung stattgefunden?

Richard Ott und seine Kollegen datierten die fossile Küstenlinie nun genauer und verglichen die Daten ihrer Proben mit historischen Aufzeichnungen antiker Schriftsteller zu Erdbeben. Die Datierung erfolgte mit Radiokarbon-Analysen von Fossilien, die die Forschenden an acht Stellen unterhalb der Krios-Paläo-Uferlinie sammelten. Insbesondere untersuchten sie Vermetiden, umgangssprachlich als Wurmschnecke (Dendropoma sp.) bekannt, und solitäre Steinkorallen (Balanophylliasp.). Schalen und Skelette von toten Meeresorganismen geben Aufschluss darüber, wann die Hebung der Insel stattfand, denn die Organismen starben, als sie aus dem Meer herausgehoben wurden.

Das Wissenschaftlerteam fand heraus, dass die fossile Küstenlinie im Westen Kretas wahrscheinlich nicht in einem einzigen großen Erdbeben um die bis zu neun Meter angehoben wurde, sondern nach und nach durch eine ganze Reihe starker Erdbeben, die in den ersten Jahrhunderten nach Christus rund um die Insel Kreta stattgefunden haben. Otts Befund steht im Einklang mit archäologischen Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass der antike Hafen in Phalasarna bereits nach einem Erdbeben im Jahr 66 n. Chr. aufgegeben wurde.

Richard Ott und Kollegen nutzen die neuen Erkenntnisse, um den Ursprung dieser Erdbebensequenz in den ersten Jahrhunderten nach Christus zu modellieren. Im Gegensatz zu früheren Studien stellte das Team fest, dass hierfür wahrscheinlich sogenannte Abschiebungen verantwortlich sind. Dabei handelt es sich um eine bestimmte Art von Brüchen in der Erdkruste, die entstehen, wenn die Erdkruste auseinandergezogen oder gedehnt wird. Die Wissenschaftler modellierten die Ausbreitung von Tsunamis bei Erdbeben auf diesen Abschiebungen. Sie stellten fest, dass ihr neuartiges Modell den Tsunami-Bericht von Ammianus Marcellinus, einem historischen Schriftsteller aus Alexandria, gut erklären kann. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass Erdbeben auf Abschiebungen wahrscheinlich ein häufiger Auslöser von Tsunamis im Mittelmeerraum sind.

Die Autoren schätzen, dass die Stärke des Erdbebens im Jahr 365 n. Chr. unter Mw 8 lag. Das ist zwar etwas niedriger als frühere Schätzungen, die von Mw 8,3-8,5 ausgingen. Dennoch unterstreicht die Studie, dass im östlichen Mittelmeer ein Risiko für starke Erdbeben besteht. Einheimische und Touristen sollten deshalb darüber aufgeklärt werden, wie sie sich im Falle eines Tsunami verhalten sollen.

Original Studie:
Richard F. Ott, Karl W. Wegmann, Sean F. Gallen, Frank J. Pazzaglia, Mark T. Brandon, Kosuke Ueda, Charalampos Fassoulas (2021): Reassessing Eastern Mediterranean tectonics and earthquake hazard from the AD 365 earthquake. AGU advances. Link
: https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1029/2020AV000315


Wissenschaftlicher Kontakt:

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Geochemie der Erdoberfläche
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