Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Ein "Frühwarnsystem für alle“

Das langfristige Ziel ist ein Frühwarnsystem für alle Naturgefahren und alle Menschen auf der Erde. Interview mit Dr. Abror Gafurov anlässlich der COP29 in Baku.

 

Dr. Abror Gafurov schildert im Interview seine Eindrücke von der letzten COP und blickt auf diesjährige Konferenz in Baku, die letzte Woche begonnen hat und heute zu Ende geht. Die 29. Vertragsstaatenkonferenz (COP29) findet in der aserbaidschanischen Hauptstadt statt. Abror Gafurov nimmt für das GFZ teil. Er ist Hydrologe und mit seinen Forschungsthemen rund um Wasserverfügbarkeit, Schneebedeckung, Gletscherschmelze tief verankert in der Region Zentralasien.


In welcher Funktion sind Sie auf der UN-Vertragsstaatenkonferenz, der 29. Conference of Parties (COP)?
Am GFZ führen wir mehrere Projekte zum Thema Wasserressourcen und Klimawandel in Zentralasien durch. Derzeit laufen in Zentralasien die Projekte „CAWa Green“ und CLIMWATER. Ich nehme als Koordinator dieser Projekte an der COP29 teil.


Wie kann man sich einen Tag auf der COP vorstellen?
Eine COP ist eine riesige Veranstaltung. Mehr als 80.000 Leute waren beim letzten Mal dabei, dieses Mal ist die Zahl der Teilnehmer:innen auf 40.000 begrenzt. Es gibt sehr viele Sessions, Workshops und Vorträge, praktisch zu jedem Thema. Da muss man sich erstmal zurechtfinden. Es ist grundsätzlich ganz wichtig, den Tag auf einer COP gut zu planen, sonst kann man sehr viel verpassen.


Muss man sich die Vertragsstaatenkonferenz COP also wie eine wissenschaftliche Konferenz vorstellen?
Die COP ist ein bisschen anders als wissenschaftliche Konferenzen. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es genau eine solche Plattform wie die COP braucht, eine solche Bühne, wo wir Wissenschaftler:innen unsere Kenntnisse wichtigen Anwender:innen und Entscheider:innen vermitteln können. Vor Ort sind in der Regel sehr viele Stakeholder:innen, Nutzer:innen und Politiker:innen. Wir Forschende sind es gewohnt, unsere Redebeiträge sehr wissenschaftlich zu konzipieren, wenn wir auf Konferenzen sind. Auf der COP ist das anders. Es geht darum, Wissenschaft vor allem in Richtung Politik verständlich zu erklären und gut rüberzubringen. Die meisten meiner Sessions auf der letzten COP drehten sich um den Klimawandel und seinen Einfluss auf Wasserressourcen, die Kryosphäre, Schnee, Gletscher und den Permafrost – vor allem in Zentralasien.


Was waren für Sie auf der letzten COP Ihre persönlichen Eindrücke?
Für mich war die letzte COP zugleich auch meine erste Teilnahme. Es war eine sehr gute Gelegenheit, um sich auch in dieser speziellen Klimawandel-Wissenschafts-Community zu informieren und zu orientieren: Wo steht da das GFZ und wo stehe ich? Das waren die zwei Fragen, auf die ich auf dieser COP Antworten finden konnte. Wir betreiben ja jeden Tag Forschung, gehen dann auf unsere wissenschaftlichen Konferenzen und wieder zurück zu unserer Forschung. Das ist für uns über weite Strecken ein geschlossener Raum. Die COP gibt die Gelegenheit, weiter nach außen zu schauen: Was machen andere? Was brauchen die Politiker:innen, was brauchen andere Anwender:innen? Von daher war es für mich ein großer persönlicher Gewinn, zu erfahren, wo ich stehe: Bin ich auf der richtigen Spur? Sollte ich meinen Horizont erweitern oder eher konkreter denken?


Und können Sie sagen, wo das GFZ steht?
Ich kann für meine Schwerpunktregion Zentralasien sprechen und sagen: In Zentralasien ist das GFZ sehr sichtbar, auch, weil wir seit vielen Jahren dort Projekte durchführen und seit 20 Jahren mit dem Zentralasiatischen Institut für Angewandte Geoforschung ZAIAG in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek eng verbunden sind.


Welche größeren Fortschritte wurden aus Ihrer Sicht auf der letzten COP erreicht?
Die größeren, übergeordneten Fortschritte der letzten COP waren der beschlossene Ausstieg aus den fossilen Energien und dass die Kapazität der erneuerbaren Energien bis 2030 verdreifacht werden soll.


Gab es speziell in Bezug auf Ihren Fachbereich Hydrologie spürbare Fortschritte oder Erkenntnisse? Was erhoffen Sie sich diesmal konkret?
Für mich und meine Forschungsgruppe am GFZ habe ich bei der letzten COP vor allem mitgenommen, in welche Richtung sich in Zukunft die Themen rund um Wasser, Wasserforschung und Hydrologie entwickeln werden. Ganz klar ist: Naturgefahren werden in Zukunft besonders im Fokus stehen. Welche Gefahren zum Beispiel von Wasser ausgehen, haben wir in Deutschland mit der Flut im Ahrtal 2021 und mit zwei großflächigen Hochwasserereignissen zum Jahreswechsel 2023/24 und im Juni 24 erlebt, und kürzlich im September unter anderem in Polen und Österreich und im Oktober in der Region Valencia: Dies sind Ereignisse, die auch aufgrund des Klimawandels und anderer menschlicher Einflüsse zustande gekommen sind. Dementsprechend war eines der Hauptthemen der COP im vergangenen und in diesem Jahr die von UN-Generalsekretär Antonio Guterres ausgerufene Initiative „Frühwarnsystem für alle“. Auch in diesem Jahr ist das wieder Gegenstand unserer Diskussionen, denn wir müssen mit solchen verheerenden Ereignissen in Zukunft häufiger rechnen.


Was heißt ein „Frühwarnsystem für alle“ konkret?
Es muss unser Ziel sein, dass jeder Mensch auf der Welt möglichst früh vor den diversen Naturgefahren gewarnt werden kann. Und da steht Wasser als Risikofaktor in vielen Gegenden der Welt im Mittelpunkt. Bisher war unser zentrales Thema die Verfügbarkeit von Wasser, die mit voranschreitendem Klimawandel in vielen Teilen der Welt kritischer wird. Auf der COP habe ich für mich die Erkenntnis gewonnen, dass man in Zukunft darüber hinaus ein größeres Augenmerk auf Extremereignisse wie Hochwasser, Hangrutschungen, Schneelawinen und Flash Floods legen sollte, bei denen es ein Zuviel an Wasser gibt. Auch sie bedrohen Mensch und Infrastruktur und werden ebenfalls zunehmen. Ziel der Initiative „Frühwarnsystem für alle“ ist es daher, bis Ende 2027 sicherzustellen, dass alle Menschen auf der Erde durch lebensrettende Frühwarnsysteme vor gefährlichen Wetter-, Wasser- oder Klimaereignissen geschützt sind.


Wie sehen Sie bei Frühwarnung Ihre Aufgabe als Forscher?
Ich kann ein Beispiel vom Ahrtal-Hochwasser geben. Dort konnten wir Wissenschaftler:innen rechtzeitig viele Messgeräte installieren und so die Ereignisse nachzeichnen, um zu verstehen, wie es zu solch verheerenden Überflutungen und Schäden kommen konnte. In Zukunft müssen wir uns noch mehr der Vorausschau von Szenarien widmen, die mit solchen Extremereignissen verbunden sind. Wir können nie genau vorhersagen, wie viel es wo regnen wird. Das kann auch alle unsere Erwartungen übertreffen, so wie im Ahrtal: Ein solch starkes Regenereignis wurde dort bislang noch nie beobachtet – und dementsprechend hatte auch keiner dort mit solch verheerenden Ausmaßen gerechnet. Extremereignisse werden jedoch zunehmen, und wir müssen in Zukunft lernen, viel mehr mit dem Schlimmsten zu rechnen, entsprechende Szenarien zu entwickeln und diese an Entscheider:innen und die Bevölkerung vor Ort zu kommunizieren. In Zentralasien bemühen wir uns außerdem gemeinsam mit Partnern in der Region um die Vorhersage von Naturgefahren wie Überschwemmungen, Dürren und Lawinen mithilfe moderner Datensätze und Modellierungsansätze.


Wir sollten also vermehrt auf nie dagewesene Ereignisse fokussieren?
Ja, genau. Bei Hochwasser sollten wir nicht „nur“ mit dem Worst-Case-Szenario in einem Jahrhundert rechnen, wie wir es bisher getan haben, oder mit Hochwassern, die im Durchschnitt nur alle hundert Jahre in dieser Stärke zu erwarten sind, sondern auch mit bislang noch nie dagewesenen Szenarien.


Dieses Jahr findet die COP29 in Baku (Aserbaidschan) statt. Wasserressourcen sind ein wichtiges Thema für Zentralasien. Welche Sachverhalte sind für diese Region wichtig?
In der Gebirgslandschaft von Zentralasien leben sehr viele Menschen und möglicherweise schon seit Generationen in dem Glauben, dass ihre Umwelt stabil ist – sofern sie bisher keine Wasserknappheit oder Naturkatastrophen erlebt haben. Doch im Gebirge gibt es zum Beispiel immer die Gefahr von Hangrutschungen oder Lawinen – und sie wird zunehmen: Mit dem Klimawandel erwarten wir mehr Niederschläge, wir erwarten vor allem mehr flüssige Niederschläge, also eher Regen als Schnee. Solche Niederschlagsformen führen in den Sommermonaten in Zentralasien zu Überschwemmungen und Wasserknappheit, aber auch dazu, dass Hänge instabil werden und zu Naturgefahren werden. Für mich persönlich waren solche Sachverhalte bisher nicht die wichtigen Forschungsthemen, aber auf der letzten COP und nun wieder sehe ich, dass es in Zukunft mehr Nachfrage für solche Themen geben wird. Wir müssen untersuchen, welchen Einfluss Temperaturänderungen von 1,5 Grad auf ein bestimmtes Gebiet haben können.


Gab oder gibt es Ihres Erachtens Themen, die von der Politik nicht genug mitgedacht werden? Fällt Ihnen hier ad hoc etwas ein?
Meiner Meinung nach gab und gibt es ein Thema, welches nicht ausreichend zu Ende gedacht wird. So wird postuliert: „Rein in erneuerbare Energien – raus aus fossilen Brennstoffen“. Inwieweit grüne Energie, z. B. aus Wasserkraftwerken, überhaupt tatsächlich fossile Brennstoffe ersetzen kann, scheint jedoch nicht ausreichend untersucht zu werden. Man konzentriert sich zu sehr auf die Reduzierung fossiler Brennstoffe, aber nicht genug auf die Alternativen, insbesondere im Bereich der Wasserkraft. Es müsste verstärkt diskutiert werden, ob die Menge an erneuerbaren Energien, die man produzieren kann, ausreicht, um die fossil gewonnene Energie vollständig zu kompensieren, und welche Optionen es darüber hinaus gibt.


Spielt die Kompensation fossiler Brennstoffe auch als Forschungsthema in Zentralasien eine Rolle?
In Zentralasien sind Wasserkraftanlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien ein großes Thema. Als Wissenschaftler:innen müssen wir für die Wasserkraftanlagen den Wasserabfluss genau berechnen und modellieren. Wir müssen vorhersagen können, wie viel Wasser in einem bestimmten Einzugsgebiet vorhanden ist, damit die Energieproduktion optimiert werden kann. Und von daher ist es durchaus unser Themenfeld.


Ergebnisse der letzten COP waren u.a. die Schaffung eines „Globalen Anpassungsfonds“ und die Initiative „Fresh Water Challenge“, die sich um degradierte Flüsse, die Wiederherstellung von Feuchtgebieten, sowie die Wiederherstellung degradierter Süßwasserökosysteme dreht. Inwieweit ist das für Ihre Forschung relevant?
Insbesondere die „Fresh Water Challenge“ betrifft auch unser Forschungsgebiet. In der Hydrologie haben wir den Begriff „Low Flow“ („Niedrigfluss“). Dieser drückt aus, dass mit der Austrocknung von Flüssen auch Flora und Fauna zurückgehen. Also ist die Wassermenge, die ein Fluss führt, natürlich auch eine Ökosystemfrage. Für jeden Fluss sollte daher ein Low Flow Limit definiert werden, welches wir als Wissenschaftler:innen errechnen können. Bis zu dieser Grenze blieben Flora und Fauna erhalten werden und das Ökosystem weitestgehend geschützt.


Gerade haben wir vom Europäischen Klimamonitoring-System Copernikus gehört, dass in diesem Jahr erstmals das 1,5-Grad-Ziel überschritten wird. Die Versprechen der Pariser Klimaschutzziele können wir also sehr wahrscheinlich nicht mehr erreichen. Auch die USA kündigen wieder ihren Ausstieg aus dem Klimaschutzabkommen an. Was macht Ihnen dennoch Hoffnung?
Mir macht eigentlich genau die COP, diese Vertragsstaatenkonferenz, Hoffnung. Wir sagen immer, dass wir das Ziel nicht erreichen, aber es gibt immer einen Fortschritt. Vor vier Jahren gab es die COP in Glasgow. Dort hat man zu Papier gebracht, dass wir aus fossiler Energie aussteigen wollen. Das war damals eine sehr große Diskussion. Auf der letzten COP in Dubai war das gar kein Diskussionsthema mehr; solche Fortschritte sehe ich.

Momentan heißt es, dass die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels sehr unwahrscheinlich ist, weil wir das mit dem aktuellen Erkenntnisstand so sehen. Aber wenn wir weiter motiviert in die richtige Richtung arbeiten und bei den zukünftigen COPs immer wieder diese Diskussion führen, werden wir wahrscheinlich doch noch Möglichkeiten finden. Es gibt ja noch Innovation, innovative Lösungen und vielleicht kommen in fünf Jahren oder zehn noch bessere Lösungen, die wir heute gar nicht in unsere Prognosen mit einbeziehen konnten.

Herr Gafurov, herzlichen Dank für das Gespräch!

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