Die Elemente Kohlenstoff (C), Silizium (Si), Germanium (Ge) und Zinn (Sn) aus der Gruppe IVA des Periodensystems spielen eine herausragende Rolle für Zukunftstechnologien wie die Mikro- und Nanoelektronik, Optik und Optoelektronik. Silizium und Germanium sind wichtige klassische Halbleitermaterialien. Während Mikrochips ohne Silizium kaum denkbar sind, erweist sich das Material für optoelektronische Anwendungen wie Laser, LEDs oder Fotodetektoren als vergleichsweise ineffizient. Um beispielsweise die Wandlung von elektrischer Energie in Licht effizienter zu gestalten, werden alternative Materialien gesucht. Mischkristalle aus zwei oder mehr chemischen Elementen bieten den Vorteil, Kristallstruktur und (opto-)elektronische Eigenschaften passgerechter einstellen zu können; dies kann auch durch Variation der Herstellungsbedingungen wie Temperatur oder Druck erfolgen. Ein vielversprechendes und aktuell viel diskutiertes Material dieser Kategorie ist GeSn.
Synthese mit Hochdruckpressen
Forschende präsentieren nun mit dem Einsatz von Hochdruckpressen einen neuen experimentellen Ansatz in den Materialwissenschaften, um GeSn herzustellen. Dabei entsteht eine für dieses Material unerwartete kubische Kristallstruktur. Die Studie des internationalen Teams um George Serghiou von der University of Edinburgh und Hans-Josef Reichmann vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ), sowie Kolleg*innen von der University of Edinburgh, Deutschen Elektronensynchrotron (DESY) und der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) ist kürzlich im Fachmagazin Angewandte Chemie International Edition erschienen.
Eigentlich wollen sich Germanium und Zinn nicht gerne mischen, weil die Materialien bei Atmosphärendruck (1 bar) verschiedene Gitterstrukturen, Gitterparameter oder Atomradien haben. Daher wird GeSn bisher nur in Form weniger hundert Nanometer dünner Schichten hergestellt, mit speziellen Abscheideverfahren. Um die Bandbreite möglicher Herstellungsparameter umfassender auszuloten, haben die Forschenden nun eine Technologie zur Materialsynthese angewendet, die sonst in den Geowissenschaften eingesetzt wird: In einer sogenannten Diamantstempelzelle und einer Vielstempel-Apparatur können extrem hohe Drücke und Temperaturen erzeugt werden. Damit lassen sich Prozesse, die unter den extremen Bedingungen tief im Erdinneren stattfinden, im Labor nachstellen. Bei einer Vielstempel-Apparatur pressen Metallstempel aus mehreren Richtungen den wenige Kubikmillimeter großen Probenraum in ihrer Mitte zusammen. In Diamantstempelzellen wird ausgenutzt, dass Diamant ein extrem hartes und gleichzeitig für Laserlicht und Röntgenstrahlen durchlässiges Material ist: Die nur wenige Kubikmikrometer kleinen Proben aus Germanium und Zinn werden zwischen Diamantspitzen zusammengepresst, durch die gleichzeitig ein Infrarot-Laser zum Aufheizen des Probenraums eingekoppelt werden kann.
Überraschende Verbindung von Germanium und Zinn
Auf diese Weise haben die Forschenden ihre Germanium-Zinn-Proben großen Drücken im Bereich von bis zu 28 Giga-Pascal (das entspricht 280 Kbar, also dem 280.000-fachen des normalen Luftdrucks) und hohen Temperaturen von etwa 580 Grad Celsius ausgesetzt. Dabei konnten sie eine unerwartet neue GeSn-Verbindung mit einer kubischen Symmetrie (Raumgruppe Im-3m) synthetisieren.
Kristallbildung live beobachten
Wie sich das GeSn gebildet hat, konnten die Forschenden mit Experimenten an den Teilchenbeschleunigern (Elektronensynchrotron) vom DESY in Hamburg und ESRF in Grenoble live beobachten. Denn beide Hochdruck-Pressverfahren bieten die Möglichkeit, den Probenraum mit Röntgenlicht zu bestrahlen. Die Beschleuniger in Hamburg und Grenoble liefern Röntgenstrahlen mit hoher Intensität und ermöglichen es so, die Proben besonders gut in ihrer atomaren und molekularen Struktur zu untersuchen.
Synthese neuer Materialien abseits konventioneller Bildungskriterien
„Mit der Synthese und Struktur dieses neuen kubischen Gruppe IVA-Mischkristalls sind mehrere ungewöhnliche Aspekte verbunden“, so die Wissenschaftler. Unter anderem haben Germanium und Zinn im Bereich der Synthesebedingungen, d.h. bei Drücken von 13 bis 28 Gigapascal, ungleiche Kristallstrukturen und unterschiedliche Atomradien. Damit sich Mischkristalle bilden, sind aber eigentlich ähnliche Kristallstrukturen und Atomradien notwendig. Ungewöhnlich ist auch, dass sich Schmelzen als nachteiliger Prozessschritt erwiesen hat, obwohl das normalerweise bei einer Synthese die Homogenisierung, Reaktivität und Kristallbildung fördert.
Zwar ist der neu synthetisierte GeSn-Mischkristall bei Normaldruck (1 bar) nicht stabil. Beim Übergang in diesen Druckbereich entstehen jedoch weitere neue, möglicherweise optoelektronisch interessante Materialien, die erforscht werden. „Unsere hier präsentierte Versuchsreihe zeigt, dass es sich lohnt, zur Herstellung neuer Materialien unkonventionelle Wege zu gehen und sich von scheinbar manifestierten Bildungskriterien nicht einschränken zu lassen. Gerade wenn es sich um technologisch so relevante Materialklassen wie Halbleiter oder Halbmetalle handelt“, resümieren die Wissenschaftler. (ud)
Original Publikation: George Serghiou, Hans Josef Reichmann, Nicholas Odling, Kristina Spektor, Anna Pakhomova, Wilson A. Crichton, and Zuzana Konôpková: An Unexpected Cubic Symmetry in Group IV Alloys Prepared Using Pressure and Temperature, Angew.Chem. Int. Ed. 2021, 60,9009–9014, DOI: 10.1002/anie.202016179
Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Hans-Josef Reichmann
Chemie und Physik der Geomaterialien
Helmholtz-Zentrum Potsdam
Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Telegrafenberg
14473 Potsdam
Tel.: +49 331 288-1416
E-mail: hans-josef.reichmann@gfz-potsdam.de