Der Beitrag von Schneealgen zur Gletscherschmelze ist bisher stark unterschätzt worden. Darauf weist eine Studie hin, die am 22. Juni in NATURE Communications erscheint. Weiße Schnee- und Eis-Flächen strahlen das Sonnenlicht zurück; das Maß dafür nennt man Albedo. Schon seit geraumer Zeit ist bekannt, dass Schneealgen mit ihrer roten Pigmentierung die Schnee- und Eisoberfläche verdunkeln und dass das zu einer höheren Wärmeaufnahme führt. Die neue Studie um Erstautorin Dr. Stefanie Lutz, Postdoc am Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) und der Universität von Leeds, zeigt, dass großflächige rote Algenblüten – auch als Blutschnee bekannt – die Albedo insgesamt um ca. 13 Prozent über eine ganze Schmelzsaison gerechnet verringern. Stefanie Lutz sagt: „Mit dieser Studie zeigen wir, dass der Bio-Albedoeffekt wichtig ist und in künftige Klimamodelle integriert werden muss.“
Zum Blutschnee kommt es insbesondere in den wärmeren Monaten, im späten Frühling und im Sommer, wenn sich in der Arktis oder im Hochgebirge auf Schnee und Eis Schmelzwasserfilme bilden. Das flüssige Wasser und die Sonne sind lebensnotwendig für die Mikroorganismen. In Wintermonaten verfallen sie in eine Art Schlafzustand.
Für die Studie untersuchte das internationale Team um Stefanie Lutz und Prof. Liane G. Benning die Biodiversität von Bakterien und Schneealgen mit Hilfe von modernsten molekularbiologischen Methoden (Hochdurchsatz-Sequenzierung von speziellen Genen). Sie nahmen rund vierzig Proben von 21 Gletschern in der europäischen Arktis. Ihre Analyse umfasst ein Gebiet, das von Grönland über Island, Spitzbergen und bis in das arktische Schweden reicht.
Dabei stellte sich heraus, dass es bei den Bakterien je nach Lokalität eine hohe Diversität gab, wohingegen die Schneealgen vergleichsweise wenig divers waren. Anders gesagt: Vermutlich sind in weiten Teilen der Arktis dieselben Schneealgenspezies für den Blutschnee und die dadurch beschleunigte Schmelze verantwortlich. Durch die Rotalgenblüte kommt es zu einem selbstverstärkenden Effekt: Je mehr die Schnee und Gletscher tauen, desto mehr blühen die Algen. Das führt zu einer Verdunklung der Oberfläche, die wiederum das Tauen beschleunigt. Liane G. Benning, Leiterin der Sektion Grenzflächen-Geochemie am GFZ, sagt: „Unsere Arbeit zielt darauf ab ein universelles Modell von Bio-Albedo-Wechselwirkungen, die momentan in den Klimamodellen fehlen, besser zu definieren.“
Bio-Albedo sei „jahrelang ein Nischenthema“ gewesen, sagt Daniel Remias, Biologe an der Fachhochschule Wels in Oberösterreich. Der Spezialist für Schneealgen, der selbst nicht an der Studie beteiligt war, kommentiert: „Zum ersten Mal überhaupt hat jemand den großflächigen Beitrag der Mikroorganismen auf die Schnee- und Gletscherschmelze untersucht.“ Remias besuchte das GFZ kürzlich für eine internationale „Schneealgen-Konferenz“, die Liane G. Benning veranstaltet hatte.
Daniel Remias hebt besonders den interdisziplinären Aspekt der Forschung hervor. „Die Studie von Steffi Lutz und den Co-Autoren kombiniert erstmalig detaillierte mikrobiologische und genetische Untersuchungen von roten Schneealgen mit den geochemischen und mineralogischen Eigenschaften sowie der Albedo ihres Lebensraums.“ Ein internationales Team von Forscherinnen und Forschern unter britischer Leitung wird in den kommenden Wochen nach Grönland reisen, wo derzeit ungewöhnlich hohe Temperaturen herrschen und das Eis in Rekordgeschwindigkeit schmilzt. Mit dabei sein werden Steffi Lutz und Liane G. Benning. Gemeinsam mit den britischen Kollegen wollen sie untersuchen, ob und wie stark Schneealgen mit ihrer Blüte zu den Rekordraten der Eisschmelze beitragen.
Lutz, S., Anesio, A.M., Raiswell, R., Edwards, A., Newton, R.J., Gill, F., Benning, L.G. 2016. The Biogeography of Red Snow Microbiomes and their Role in Melting Arctic Glaciers. Nature Communications, DOI: 10.1038/NCOMMS11968