28.12.2016: Die Vorhersage des Weltraumwetters hängt entscheidend von der Qualität der Modellierung ab. Forscher vom GFZ zeigen, dass fehlerhafte Algorithmen zu gravierenden Fehleinschätzungen führen können. Sie präsentieren einen neuen Algorithmus, der geeignet ist, das Geschehen im geosynchronen Orbit zuverlässig zu modellieren. Das ist besonders für die Sicherheit von Satelliten wichtig.
Unablässig schleudert die Sonne Materie und energiereiche Teilchen ins Weltall. Das Leben auf der Erde ist vor diesem Beschuss durch die Atmosphäre und insbesondere durch das Magnetfeld geschützt. Satelliten, die in einer Höhe von bis zu 36.000 Kilometern kreisen, sind demzufolge weniger gut geschützt. Energiereiche Teilchen wie Elektronen und Protonen können die empfindliche Elektronik beschädigen und die Kommunikation mit den Satelliten verhindern. Die Intensität des Teilchenbeschusses verändert sich ständig. Auch für dieses „Weltraumwetter“ wollen Forscher genaue Vorhersagen machen, um Satellitenbetreiber rechtzeitig zu warnen, wenn Gefahr droht.
Wie beim irdischen Wetter basiert die Vorhersage für den erdnahen Raum auf computergestützten Modellrechnungen. Je besser die Modelle die Realität abbilden, umso besser ist die Vorhersage. Nikita Aseev und Yuri Shprits vom GFZ sowie Kollegen der University of California Los Angeles stellen jetzt in der Zeitschrift „Space Weather“ der AGU eine Methode vor, um die Zuverlässigkeit eines Weltraumwetter-Modells zu überprüfen. Sie konzentrierten sich dabei auf einen maßgeblichen Teilaspekt, den Fluss relativistischer Elektronen im sogenannten Van-Allen-Strahlungsgürtel der Erde. Dieser umfasst auch den für die Raumfahrt bedeutenden geosynchronen Orbit in 36.00 Kilometern Höhe, in dem zahlreiche Wetter-und Kommunikationssatelliten kreisen.
Die physikalischen Prozesse in dieser Zone sind komplex. Die Elektronen sind extrem schnell und erreichen nahezu Lichtgeschwindigkeit, weshalb sie als relativistisch bezeichnet werden. Sie sind zahlreichen Einflüssen ausgesetzt, darunter variablen elektrischen Feldern, die vom Sonnenwind herrühren, sowie Wechselwirkungen mit anderen Teilchen. All dies wirkt auf den Elektronenfluss im erdnahen Raum, der letztlich das Weltraumwetter mit bestimmt.
Aseev und seine Kollegen untersuchten, welche numerischen Verfahren geeignet sind, um den Elektronenfluss korrekt nachzubilden. „Fehler oder Ungenauigkeiten in den Algorithmen können zu erheblichen Abweichungen in den Modellierungen führen“, sagt Aseev. „Unter Umständen sind sogar Falschaussagen bei der Vorhersage des Weltraumwetters für Satellitenbetreiber möglich.“ Das könne gravierende Folgen haben: Entweder droht ein technischer Schaden, weil der Teilchenstrom unvorhergesehen eintrifft, oder es drohen wirtschaftliche Verluste, weil ein Satellit aus Sicherheitsgründen vorübergehend außer Betrieb genommen wird, obwohl keine reale Gefahr bestand.
Für ihre Analyse verwendeten die Forscher einen numerischen Algorithmus, mit dem sie den Elektronentransport modellierten. „Um zu überprüfen, wie zuverlässig dieser ist, haben wir für jeden einzelnen physikalischen Prozess Lösungen formuliert und diese anschließend in Simulationen getestet“, sagt Aseev. Auf diese Weise konnten sie Fehler im untersuchten Weltraumwetter-Modell aufspüren.
„Weltraumwetter ist ein junges Forschungsgebiet. Wir benötigen gute Standards, mit denen wir die Zuverlässigkeit von Modellierungen feststellen können, ähnlich wie bei Wettermodellen für die Erde“, sagt Professor Yuri Shprits, Leiter der Gruppe „Magnetosphärenphysik“ in der Sektion „Erdmagnetfeld“ und Ko-Autor des Artikels. Die vorliegende Studie sei ein hervorragendes Beispiel dafür, wie das gelingen kann.
Der Beitrag wurde von der Redaktion der herausgebenden Zeitschrift als „Highlight“ herausgestellt. Die Autoren hätten deutlich gemacht, wie wichtig die Stabilität und die Genauigkeit von Modellen für das Weltraumwetter seien, und geben hierfür ein bedeutendes Beispiel zur Bewegung relativistischer Elektronen im geosynchronen Orbit. Dieser Bereich ist umso bedeutsamer, da die Teilchen eine Gefährdung für operationelle Satellitensysteme darstellen, die geosynchrone Orbits nutzen.
Die Dynamik der Magnetosphäre, die Auswirkungen auf Satelliten und die bemannte Raumfahrt hat, wird am GFZ in der Sektion Erdmagnetfeld erforscht. Zuletzt hatte eine Studie von Shprits und internationalen Kollegen Aufsehen erregt, in der die Wissenschaftler ein lange Zeit ungelöstes Problem - das „Verschwinden“ hochenergetischer Partikel in der Magnetosphäre aufgeklärt haben. (rn)
Aseev, N. A., Y. Y. Shprits, A. Y. Drozdov, and A. C. Kellerman (2016), Numerical applications of the advective-diffusive codes for the inner magnetosphere, Space Weather, 14, 993–1010, doi:10.1002/2016SW001484.