Erdbeben gehören zu den tödlichsten Naturgefahren. Das liegt zum einen daran, dass sie ungeheure Energien freisetzen, zum anderen an ihrer Unvorhersagbarkeit. Es gibt jedoch einen Umstand, der den betroffenen Menschen wertvolle Sekunden Vorwarnzeit bietet: Ein Beben sendet unterschiedlich schnelle Wellen aus – und die ersten, die so genannten P-Wellen, sind weitaus weniger zerstörerisch als die danach eintreffenden S-Wellen. Je weiter Gebäude und Infrastruktur vom Bebenherd entfernt sind, desto mehr Sekunden bleiben, um beispielsweise Gasleitungen zu schließen, die Stromzufuhr abzuschalten, Ampeln vor Brücken auf Rot zu stellen und Züge zu stoppen.
Traditionelle Methoden der Frühwarnung sind allerdings relativ ungenau oder bieten nur sehr kurze Warnzeiten. Im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam und der Humboldt-Universität zu Berlin haben Jannes Münchmeyer und seine Kollegen eine ursprünglich aus dem Bereich Textverständnis und automatisierte Übersetzung kommende Methode der Künstlichen Intelligenz, so genannte Transformer-Netzwerke, an die Analyse seismischer Daten angepasst. Ihr Ziel war es, schnellere und oft auch deutlich genauere Vorhersagen der zu erwartenden Erschütterungen in der Nachbarschaft eines Bebens zu erreichen.
Die neue Methode wurde mit Datensätzen aus den stark erdbebengefährdeten Ländern Italien und Japan getestet, die beide ein sehr dichtes Netz an Erdbebenstationen haben. Wie bei „Machine Learning“ üblich, wurde das Verfahren an einem Satz von tausenden aufgezeichneten Beben getestet und gewissermaßen justiert. Danach gaben die Forscher dem Algorithmus ein weiteres Set von aufgezeichneten Beben, die der Algorithmus noch nicht „kannte“. In diesen retrospektiven Tests mit tatsächlichen Erdbeben ergab sich eine erhebliche Verbesserung der Warngenauigkeit. Jannes Münchmeyer sagt: „Wir erhielten eine höhere Zahl an korrekten und schnellen Warnungen vor stärkeren Erschütterungen als bei den bisherigen Ansätzen.“
Ein weiterer Vorteil der neuen Methode sei, dass eine Einschätzung der Genauigkeit der Vorhersage mitberechnet wird. Frederik Tilmann vom GFZ erklärt: „Damit können Schwellenwerte, ab denen Warnungen erfolgen, an die örtlichen Gegebenheiten und Bedürfnisse der Menschen angepasst werden.“
Die interdisziplinäre Arbeit von Seismologen und Datenwissenschaftlern (Informatiker und Mathematiker) war entscheidend für den Erfolg dieses Forschungsansatzes und wurde ermöglicht durch die von der Helmholtz-Gemeinschaft und dem Einstein Centre for the Digital Future initiierte „Helmholtz Einstein International Berlin Research School in Data Science” (HEIBRiDS) sowie das Geo.X-Netzwerk.
Originalstudie: Jannes Münchmeyer; Dino Bindi; Ulf Leser; Frederik Tilmann, 2021. The transformer earthquake alerting model: A new versatile approach to earthquake early warning. Geophysical Journal International. DOI: 10.1093/gji/ggaa609
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