Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe

Auch Dank des unter GFZ-Federführung von 2005-2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS (jetzt InaTEWS) ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet.

Bilanz einer Katastrophe

Der zweite Weihnachtsfeiertag 2024 markiert den zwanzigsten Jahrestag einer der größten Katastrophen, die jemals von einem Erdbeben ausgelöst wurde: Der „Boxing Day Tsumani“ riss fast 230.000 Menschen in den Tod. Ursache war ein Megabeben vor der Küste Sumatras, welches den Untergrund unter dem Meer über mehr als 1.000 Kilometer hinweg sprunghaft bewegte. Die Magnitude lag bei 9.3, damit ist es bis heute das drittstärkste je gemessene Erdbeben weltweit.

Die meisten Todesopfer waren Einheimische an den Küsten Indonesiens, Indiens, Sri Lankas und Thailands. Es waren auch viele Tourist:innen unter den Toten. Die beiden Länder mit den höchsten Todeszahlen unter Reisenden waren Schweden und Deutschland mit jeweils mehr als 500 Toten.

Die weltweite Anteilnahme war angesichts des Ausmaßes und der Bilder enorm. „Es war auch für uns in den Geowissenschaften ein Schock“, erinnert sich Andrey Babeyko, der am GFZ Tsunamis modelliert. „Theoretisch wusste man, dass es so schwere Beben geben kann, aber insbesondere die Ausdehnung der Bruchzone über mehr als 1.000 Kilometer und die verheerenden Fluten haben uns alle überrascht.“

Einen detailreichen Einblick in die Ereignisse rund um die Tsunami-Katastrophe vor 20 Jahren gibt es auf unserer „Fokus-Seite Tsunami“ im Pageflow-Stil:Anatomie einer Katastrophe

Eine Woche bis zum Konzept für ein Frühwarnsystem

Gemeinsam mit einer Reihe von Kolleg:innen bereiteten Forschende des GFZ in den Tagen  nach der Katastrophe ein Konzept für ein Frühwarnsystem vor, um das Ausmaß solcher Katastrophen künftig zu beschränken. Bis dahin hatte es lediglich für den Pazifik Tsunami-Frühwarnsysteme in Japan und USA gegeben.

Die Bundesregierung beauftragte ein Konsortium aus 9 Partnern unter Federführung des GFZ im Januar 2005 mit der Entwicklung eines deutsch-indonesischen Tsunami-Frühwarnsystems (auf Englisch: German-Indonesian Tsunami Early Warning System, kurz: GITEWS). Maßgebliche wissenschaftliche Partnerinstitutionen waren das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) und das damalige Leibniz-Institut für Meeresforschung IfM-GEOMAR. Das GEOMAR gehört heute wie die anderen Konsortialpartner auch zur Helmholtz-Gemeinschaft. Eine wichtige Rolle spielte die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die sich um das Capacity Development in Indonesien, die sogenannte „Letzte Meile“ der Warnkette, kümmerte.

So funktioniert die Tsunami-Warnung

Herzstück des Systems ist eine eigens entwickelte Software namens „SeisComP“, die Daten aus mittlerweile mehreren Hundert Erdbeben-Messstationen in der Region analysiert und Beben erkennt, die Tsunamis auslösen könnten. Gekoppelt mit mehreren Tausend vorberechneter Tsunami Simulationen und einem Entscheidungs-Unterstützungssystem können damit Warnungen innerhalb weniger Minuten im Frühwarnzentrum in Jakarta erzeugt werden. Dort entscheiden dann ausgebildete Expert:innen, ob sie eine Warnung herausgeben.

GITEWS wurde 2008 in Betrieb genommen und 2011 an Indonesien übergeben. Seitdem heißt es InaTEWS (Indonesia Tsunami Early Warning System) und wird von Indonesien betrieben.

Bilanz des Indonesischen Tsunami-Frühwarnsystems

Das Tsunami-Frühwarnsystem hat seit 2007 mehrere Tausend Beben analysiert und vor gut einem Dutzend Tsunamis erfolgreich gewarnt. Beispiele dafür sind ein Tsunami im Jahr 2007 nahe Benkulu in Südsumatra (Tsunamihöhen von bis zu fünf Metern) und weitere Tsunamis in Nordsumatra 2010 und 2012.

Es gab allerdings auch Tsunamis, vor denen nicht oder nicht rechtzeitig gewarnt werden konnte. Bei den Tsunamis von Mentawei 2010 und Palu 2018 erreichten die Wellen in nur wenigen Minuten nach dem auslösenden Beben die Küsten – noch bevor Warnungen ankommen konnten. Ein anders gelagerter Fall war das Abrutschen einer Flanke des Vulkans Anak Krakatau. Dieser große Erdrutsch in der Sundastrasse löste 2018 einen Tsunami aus. Es gab dabei kein starkes Erdbeben, weswegen das System keine Gefahr erkannte.

Der damalige Leiter des GITEWS-Aufbaus, Jörn Lauterjung, ist nach seiner Pensionierung vom GFZ nach wie vor im Indischen Ozean als Berater für die UNESCO tätig. Lauterjung sagt, die Katastrophe von damals habe zu Frühwarn- und Schutzprogrammen in der ganzen Welt geführt, so auch in der Karibik oder im Mittelmeerraum, die meisten unter dem Dach der UNESCO, der Wissenschafts- und Kulturorganisation der Vereinten Nationen. „Die UNESCO hat das sogenannte Tsunami Ready und Tsunami Ready Recognition Programm auf den Weg gebracht, um sicherzustellen, dass sich gefährdete Gemeinden und Bezirke auf Tsunamiwarnungen vorbereiten, mit Evakuierungsplänen und Evakuierungsübungen, Wissenstransfer, Arbeit in Schulen und vielem mehr“, sagt Lauterjung.

Auch wichtig: Natürliche Warnzeichen

Lauterjung fügt hinzu: „Eine wichtige Rolle dabei spielen auch natürliche Warnzeichen, die sehr viel früher zur Verfügung stehen können als eine offizielle Warnung, und die Interpretation dieser natürlichen Zeichen. So sollte man bei einem Erdbeben, das man längere Zeit spürt – mehr als 30 Sekunden – von sich aus den Strand und die Küstennähe verlassen.“

Das wussten die Menschen, die auf der Insel Simeulue vor der Nordküste Sumatras leben, aus der lokalen Überlieferung auch schon 2004. Über Generationen war dort die Legende des Ungeheuers „S‘mong“ weitergegeben worden, das 1907 Tausende Menschen mit einer Flutwelle in den Tod gerissen hatte. Obwohl der Tsunami 2004 auch auf Simeulue enorme Höhen erreichte, starben dort nur sieben Menschen und mehrere Zehntausend konnten sich durch Flucht in höher gelegene Gebiete retten.

Positive Bilanz aus Sicht des Wissens- und Technologietransfers

„Für das GFZ war die Entwicklung des Tsunami-Frühwarnsystems GITEWS und die anschließende Implementierung von InaTEWS auch hinsichtlich des Wissens- und Technologietransfers ein großer Erfolg“, sagt Dr. Angelo Strollo, am GFZ Leiter des Globalen Erdbebenmonitoring-Programms GEOFON. „Der Erfolg misst sich für uns insbesondere auch daran, dass die indonesischen Partner das System als InaTEWS seit 2011 unabhängig betreiben und weiterentwickeln.“

Die maßgeblich am GFZ entwickelte Software „SeisComP“ zum seismischen Monitoring wird seit 2009 sehr erfolgreich von einer Ausgründung des GFZ, der Firma gempa, weiterentwickelt. Die Software wurde nicht nur in viele der seither entwickelten Tsunami-Frühwarnsysteme (TEWS) weltweit übernommen – einschließlich ihres technischen Supports von gempa und anderen Firmen und maßgeschneiderter Entwicklungen –, sondern wird mittlerweile auch für das Monitoring von Vulkanen und kritischen Infrastrukturen eingesetzt.

Aktuelle Forschung für die weitere Verbesserung der Tsunami-Frühwarnung

Das GFZ hat in den letzten Jahren im Rahmen von Forschungsprojekten zusätzliche Technologien entwickelt, die die Tsunami-Frühwarnung weiter verbessern können.

Im Projekt EWRICA (2020-2023) wurde die Integration von Daten auf Basis hochpräziser Satellitennavigationssysteme (GNSS) in Echtzeit für die Tsunami-Frühwarnung entwickelt. In Verbindung mit lokalen Messungen ist das eine Möglichkeit zur Verbesserung der schnellen und sicheren Schätzung der seismischen Momente, Tiefe und Bruchrichtung von Erdbeben, und damit auch von Sekundäreffekten wie Tsunamis. Diese Entwicklungen befinden sich zu Testzwecken auch bei den indonesischen Fachbehörden „Geospatial Information Agency“ (BIG) und „Meteorology, Climatology, and Geophysical Agency“ (BMKG) im Einsatz.

Tsunamis können in seltenen Fällen auch durch Vulkane und Erdrutsche ausgelöst werden. Bisher gibt es keine operationellen Tsunami-Frühwarnsysteme, um diese subtileren Tsunami-Ursachen in Echtzeit zu erfassen. Dies zu verbessern lag im Fokus des Projekts TsunamiRisk (2021-2024), einer wissenschaftlichen Kooperation zwischen 22 indonesischen Partnerinstitutionen und sieben deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen, darunter das GFZ, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Im Rahmen des Projekts wurden Empfehlungen und eine Strategie erarbeitet, wie das Problem zukünftig angegangen werden kann. Dabei spielten Fernerkundungsmethoden, das seismische Monitoring an Vulkanen, aber auch die Modellierung, insbesondere von Flankeninstabilitäten, eine große Rolle, ebenso wie sozialwissenschaftliche Forschungsfragen.

Ausblick: Nutzung bestehender Glasfaserkabel als hochsensible Sensoren

Große Potenziale auch für die Tsunami-Frühwarnung eröffnet die Nutzung bestehender Unterwasser-Telekommunikationskabel als Sensoren zur Überwachung von Erdbebenzonen, Vulkanen oder Ozeanen. Die zugrundeliegende DAS-Technologie (Distributed Acoustic Sensing) nutzt die Glasfasern als Dehnungssensoren: Durch Bewegungen des Untergrunds verformen sie sich, die durchgeleiteten Signale werden verzerrt. Aus der Analyse lassen sich Informationen über die Bewegung der Erde ableiten und sowohl Erdbebenwellen erfassen als auch Vorgänge in der Wassersäule über dem Grund, z.B. Tsunamis. Hier hat es europaweit in den vergangenen Jahren vielversprechende Vorarbeiten gegeben.

Genau diese Technologie wird zum Beispiel im EU-Projekt SUBMERSE (SUBMarine cablEs for ReSearch and Exploration) weiterentwickelt, das 2023 gestartet ist.

Ebenfalls auf Basis dieser Technologie wurde ein großes Infrastrukturprojekt zum Aufbau eines globalen Monitoring- und Nutzerzentrums „SMART Cables And Fibre-optic Sensing Amphibious Demonstrator“ (SAFAtor) unter Federführung des GFZ und Beteiligung weiterer Helmholtz-Zentren beantragt, das bei Bewilligung in 2025 starten soll.

 

Weiterführende Informationen

Einen spannenden Einblick in die Ereignisse rund um die Tsunami-Katastrophe vor 20 Jahren gibt auf unserer „Fokus-Seite Tsunami“ im Pageflow-Stil.

Merkblatt Tsunami

Infoblatt Tsunami

Infoblatt Tsunamiwarnung

Experimentieranleitung #7 aus dem Schülerlabor für zuhause: Schaum-Tsunami
Mit diesem Experiment kann man die Auswirkungen einer Tsunamiwelle auf eine Flach- und eine Steilküste in Zeitlupe beobachten. Geeignet für Kinder ab fünf Jahren. Videoanleitung.

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Dr. Angelo Strollo

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