Galina Dick, Arbeitsgruppenleiterin der GNSS-Meteorologie am GFZ, ermöglicht mit ihrer Arbeit die Nutzung von Satellitennavigationssignalen in der Meteorologie und Klimaforschung. Wir sprechen mit ihr über ihre Arbeit und darüber, wie die Ablenkung von Radiosignalen durch Wasserdampf in der Atmosphäre von einem Störsignal zum wichtigen Messsystem wurde.
Sie sind Leiterin der Arbeitsgruppe GNSS Meteorologie. Worum geht es in Ihrer Forschung?
‚GNSS‘ steht für ‚Global Navigation Satellite System‘. Das ist der Oberbegriff für Globale Satellitennavigationssysteme, wie zum Beispiel das amerikanische GPS. Weitere solche Systeme sind das europäische Galileo, das russische GLONASS und das chinesische BeiDou.
Wir bearbeiten Radiosignale von all diesen GNSS-Satelliten, also Signale, die eigentlich für die Satellitennavigation ausgesendet werden. Anhand der empfangenen Signale können wir Aussagen zum Wasserdampfgehalt in der Atmosphäre treffen.
Die GNSS-Meteorologie ist ein noch recht neues Feld, mittlerweile aber auch schon seit mehr als zehn Jahren etabliert. Gerade in der letzten Zeit gab es eine rasante Entwicklung, vor allem bei der Nutzung in der Klimaforschung.
Warum sind die Navigationssignale so gut zur Bestimmung des Wasserdampfgehalts geeignet?
Es gibt mittlerweile weltweit sehr viele GNSS-Empfänger in vielen Ländern und auch in teilweise sehr abgelegenen Regionen. Die Navigationssignale stehen deshalb global sehr hochaufgelöst zur Verfügung, also mit sehr vielen Datenpunkten pro Fläche und Zeiteinheit, und lassen sich gut mit anderen meteorologischen Daten zusammenbringen.
Im Sommer erreichen wir in Mitteleuropa Werte bis zu 50 Millimetern Wasser in einer gedachten Säule vom Boden bis zum oberen Ende der Atmosphäre. Das können wir per GNSS mit einer Messgenauigkeit von unter einem Millimeter bestimmen.
Wir können bei jedem Wetter messen, also auch bei wolkenverhangenem Himmel. Ein herkömmliches meteorologisches Messgerät, wie zum Beispiel das Wasserdampfradiometer, misst beispielsweise nicht bei Regen.
Was macht den Wasserdampfgehalt so bedeutend?
Der Wasserdampfgehalt ist neben Temperatur und Druck DER Schlüsselparameter, um etwas über den Zustand der Atmosphäre aussagen zu können. Er ist für die Meteorologie und Klimaforschung von enormer Bedeutung. Wasserdampf wirkt beispielsweise als wichtigstes natürliches Treibhausgas.
Er ist auf herkömmliche Weise sehr schwer zu messen und hochvariabel. Temperatur und Druck lassen sich recht einfach mit Thermometer und Manometer bestimmen. Herkömmliche Instrumente zur Bestimmung des Wasserdampfs wie Radiosonden, also Wetterballone, und Radiometer sind jedoch kompliziert im Umgang und müssen aufwändig kalibriert werden. Sie sind außerdem sehr teuer.
Ein Wasserdampfradiometer kostet mehr als 100.000 Euro. Sehr gute geodätische GNSS-Empfänger sind zwar mit circa 15.000 Euro auch relativ teuer, wir haben jedoch mittlerweile auch preisgünstige Empfänger im Einsatz, die weniger als 1.000 Euro kosten.
Dass der Wasserdampf in der Atmosphäre über die Radiosignale der Navigationssatelliten bestimmt werden kann, bedeutet aber ja, dass er die Navigationssignale ablenkt. Ist das nicht störend für die Positionsbestimmung?
Ja, für die Positionsbestimmung ist der Wasserdampf ein Störsignal, was aber die Nutzung für die Meteorologie überhaupt erst möglich macht. Wir sprechen von „from error to signal“, also „vom Fehler zum Signal“. Die gemessenen Signale müssen Berechnungen unterzogen werden, damit sie etwas über die Position oder eben den Wasserdampfgehalt aussagen.
Sie sagten, die GNSS-Signale werden seit mehr als zehn Jahren für die Meteorologie genutzt. Gab es einen „Aha-Moment“, wo man gemerkt hat, die Navigationsdaten lassen sich ja auch zur Bestimmung des Wasserdampfes nutzen?
Experimentell festgestellt hat man das schon in den 1990er Jahren. Damals wurden die ersten wissenschaftlichen Artikel mit entsprechenden Nachweisen publiziert. Dabei wurden die GNSS-Daten mit denen von Radiosonden oder Wasserdampfradiometern verglichen und so festgestellt, dass ähnliche Ergebnisse erreicht werden können.
Dann gab es 2001 bis 2004 in Europa eine große, von der EU geförderte ‚COST‘-Aktion – ‚COST steht für ‚‘European Cooperation in Science and Technology‘ – mit Beteiligung von 15 Ländern. Sie hatte zum Ziel, die Methode zu operationalisieren, also herauszufinden, wie die Radiosignale zur Wasserdampfbestimmung in der Meteorologie genutzt werden können. Im Ergebnis werden zum Beispiel hier am GFZ stündlich aktuelle GNSS-Wasserdampfwerte an die Wetterdienste geliefert.
Wie etabliert ist die Nutzung von GNSS-Signalen in der Meteorologie mittlerweile?
Seit 2006 werden sie für die Wettervorhersage genutzt. Auch der Deutsche Wetterdienst DWD hat nach einer recht langen Entwicklungsphase jetzt am 21. April begonnen, die Daten von insgesamt 900 Stationen weltweit für die täglichen globalen Vorhersagen zu nutzen.
Die Meteorologen zu überzeugen, GNSS-Daten zu nutzen, war gar nicht so einfach. Sie waren anfangs sehr skeptisch, ob Navigationsdaten wirklich besser sind als ihre bewährten Messmethoden. Und natürlich können die Daten hier auch nicht einfach von einem Messgerät abgelesen werden, sondern müssen erst aufwändig berechnet werden, damit am Ende Wasserdampfdaten herauskommen.
Es war für mich, die ich sozusagen von Anfang an dabei war, sehr spannend zu beobachten, wie die Einstellung „from zero to hero“ umgeschwenkt ist und die Meteorologen heute total begeistert von den GNSS-Wasserdampfdaten sind. Das geht so weit, dass, wenn eine Radiosonde andere Werte als die GNSS-Daten zeigt, eher die Werte der Radiosonde hinterfragt werden. So groß ist das Vertrauen in die GNSS-Daten mittlerweile.
Worum geht es bei dem neuen Klimareferenznetzwerk GRUAN, das mit Ihrer Beteiligung aktuell aufgebaut wird?
GRUAN, für ‚Global Climate Observing System Reference Upper Air Network‘, ist ein Netzwerk für bestimmte klimarelevante Parameter, die global mit höchster Genauigkeit ermittelt werden. Es soll dabei ein Referenznetzwerk geschaffen werden, auf dessen Daten sich andere Messungen beziehen können.
Die Initiative zu GRUAN ging im Jahr 2007 vom globalen Klimabeobachtungssystem der World Meteorological Organization der UNESCO aus.
Die Hauptdaten sind Temperatur, Druck und Wasserdampf. Diese drei Parameter muss das Netzwerk ohne Lücken und mit höchster Qualität bereitstellen. Dabei haben die GNSS-Daten die höchste Priorität bei der Bestimmung des Wasserdampfgehalts.
Wie ist das GFZ hier beteiligt?
Innerhalb von GRUAN gibt es verschiedene Expertengruppen, für jedes Messsystem eine. Zusammen mit Jens Wickert vom GFZ gestalten wir aktiv die Gruppe für die GNSS-Messungen mit. Beispielsweise legen wir fest, mit welcher Genauigkeit GNSS-Daten an einer Empfangsstation vorliegen und bearbeitet werden müssen, damit die abgeleiteten Wasserdampfdaten die hohen Qualitätsanforderungen für die Klimaforschung erfüllen.
Zusammen mit anderen Instituten überwachen wir die Datenqualität und vergleichen die Werte immer wieder mit Daten von Radiosonden, Radiometern und Wettermodellen. Wenn an irgendeiner Station beispielsweise Wartungsarbeiten stattfinden oder eine Antenne ausgetauscht wird, muss natürlich dokumentiert sein, warum es dann für kurze Zeit von dort keine Daten gibt.
Das GFZ ist seit 2013 das offizielle Zentrum für die Verarbeitung der GNSS-Daten von GRUAN. Wir berechnen mit von uns entwickelter Software aus den von allen Stationen eingehenden GNSS-Daten das Endprodukt, also den Wasserdampfgehalt. Dafür bin ich zusammen mit meinen Kollegen verantwortlich. Der Deutsche Wetterdienst sammelt als Leitzentrum alle Daten und stellt sie für die Klimaforscherinnen und –forscher bereit.
Unsere Wasserdampfprodukte wurden von GRUAN im Mai 2019 zur Zertifizierung vorgeschlagen. Das bedeutet, dass die Qualität unserer Daten den höchsten Genauigkeitsanforderungen für die Klimaforschung entspricht. Im November dieses Jahr werden wir dann voraussichtlich offiziell zertifiziert.
Was hat das GFZ für diesen „Job“ ausgezeichnet?
Wir haben durch die langjährige Erfahrung eine große Expertise und können auf eine Infrastruktur mit vielen Bodenstationen zurückgreifen. Seit 2004 sind wir im Helmholtz-Forschungsprogramm 'Atmosphäre und Klima' aktiv, in dem wir GNSS-Satellitendaten zur Atmosphärensondierung nutzen, speziell in Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst. Wir sind da, das muss man sagen, weltweit ziemlich einmalig.
Regenvorhersagen waren bisher nur sehr ungenau, eben weil es keine so hochgenauen Daten wie jetzt die GNSS-Daten gab. Wird das mit GRUAN verbessert?
Nein, nicht direkt. Es gibt in Deutschland nur eine GRUAN-Station in Lindenberg. Damit lässt sich die Regenvorhersage in Deutschland nicht verbessern.
Wir nutzen aber innerhalb von GRUAN circa 300 Bodenstationen in Deutschland, die ursprünglich für die Landesvermessungen installiert wurden. Mit diesem sehr dichten Stationsnetz können wir die räumliche Verteilung des Wasserdampfgehalts über Deutschland sehr schnell bestimmen. Im Abgleich mit den Temperatur- und Druckverhältnissen kann dann auch die zeitliche Entwicklung von Niederschlägen vorhergesagt werden.
Und diese GNSS-Wetterdaten gibt es auch global?
Nur in den Bereichen, in denen es auch GNSS-Empfangsstationen am Boden gibt. Über den Ozeanen also zunächst einmal nicht.
Wir bearbeiten neben dem deutschen Empfängernetz noch mehr als 350 zusätzliche Stationen, die über die gesamte Erde verteilt sind. Sie werden von verschiedenen internationalen Wetterdiensten zur Verbesserung ihrer Vorhersagen genutzt. Daten von Schiffen, die mit GNSS-Antennen ausgestattet sind, könnte man auch nutzen, aber sie formen natürlich kein permanentes Messnetz.
Haben Sie für die Bearbeitung der Daten die Server im Keller stehen oder wie kann man sich das vorstellen?
Genau, wir haben unsere eigenen Server und lassen sie von unseren IT-Spezialisten betreuen. Auch unsere Software wird permanent betreut und weiterentwickelt. Nur durch diese umfassende Kontrolle können wir gewährleisten, dass die Daten permanent geliefert werden.
Außerdem archivieren wir die Rohdaten auf unseren Servern und machen sie so langfristig verfügbar.
Was macht diese Archivierung so wichtig, nachdem Sie die Daten an die Wetterdienste ausgegeben haben?
Die Rohdaten zu archivieren ist deshalb wichtig, weil es ja sein kann, dass die Möglichkeiten der Datenverarbeitung in Zukunft verbessert werden. Man möchte dann vielleicht neue Berechnungsmethoden mit neuen Qualitätsstandards auf die Rohdaten anwenden.
Für wen sind die Daten sonst noch interessant?
Die Daten werden mit der Zeit wertvoller, weil die Datenreihen immer länger werden. Manche Empfangsstationen messen mittlerweile seit 30 Jahren. Das ist ein für die Klimaforschung relevanter Zeitraum, weil langfristige Trends zu erkennen sind.
Neben den Meteorologinnen und Meteorologen sind deshalb auch Klimaforscherinnen und-forscher sehr interessiert an unseren Daten. Die bisherigen Klimamodelle basieren in Bezug auf den Wasserdampf meist auf den nicht so genauen Daten von Radiosonden. Jetzt stehen mit den neuen GNSS-Wasserdampfmessungen Referenzdaten mit höherer Genauigkeit und Qualität zur Verfügung.
Mit den neuen Datensätzen gelingt es viel besser als bisher, die Genauigkeit der Klimavorhersagemodelle und der abgeleiteten Vorhersagen zu prüfen. Das gelingt, indem die Modelle die Werte der vergangenen 30 Jahre, die wir ja nun haben, „vorhersagen“ sollen und dann geschaut wird, wie gut sie mit den tatsächlichen Entwicklungen übereinstimmen.
Forschen Sie in diesem Bereich weiter?
Ja. Vor kurzem haben wir eine vierjährige europäische COST-Aktion abgeschlossen, an der 26 Länder beteiligt waren: ‚GNSS for Severe Weather Events and Climate‘. Dabei ging es um den Einsatz von GNSS-Daten bei der Vorhersage von Extremwetterereignissen und für die Klimaforschung.
Das GFZ war einer der Initiatoren dieser Aktion, ich habe eine der Arbeitsgruppen mit geleitet.
Für alles, was in dieser Richtung angestoßen wird, muss gewährleistet sein, dass die Daten für Jahrzehnte verarbeitet, gesammelt und vor allem auch bereitgestellt werden können. Das ist schon eine Art Vertrag mit der Zukunft, den man da eingeht. Aber wir sind natürlich auch stolz, dass wir das als GFZ unterstützen können.
Sie sind auch an dem Projekt MOSAiC beteiligt, der großen Arktisexpedition per Schiff, das sich im Packeis einfrieren lässt, unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts?
Ja, wir arbeiten ohnehin im Rahmen von GRUAN sehr eng mit dem AWI zusammen. Für Radiosondenmessungen, insbesondere in der Arktis, gibt es bisher keine guten Referenzberechnungen. Über die gesamte Zeit der Expedition, die insgesamt mehr als ein Jahr dauert, steigen vier Mal pro Tag Radiosonden auf. Wir haben einen GNSS-Empfänger auf dem Schiff installiert und vergleichen dessen Messungen als Referenz mit denen der Radiosonden.
Für mich ist das Neuland, weil das Schiff über die Nordpolarregion driftet, also in permanenter, wenn auch langsamer Bewegung ist. Da werden wir sicherlich die Software anpassen müssen, um zu einer Genauigkeit der Daten im Millimeterbereich zu kommen. Das ist schon unser Anspruch.
Interview: Ariane Wiesmann (geb. Kujau)