Die Entdeckungen des Weltraumzeitalters haben mit den Strahlungsgürteln hoch über der Erde begonnen, die nach James van Allen, dem Leiter der “Explorer”-Satellitenmissionen, benannt sind. Mehr als ein halbes Jahrhundert später ist die Dynamik in diesen beiden ringförmigen Regionen mit hochenergetischen Teilchen immer noch kaum verstanden. Elektronen werden dort auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und verschwinden innerhalb weniger Tage oder auch nur Stunden. Das Problem, die Verhältnisse in den Van-Allen-Gürteln vorherzusagen, liegt in einer Art Wettstreit zweier Mechanismen: dem der Beschleunigung und dem des Elektronenverlusts. Das Ergebnis ist bis heute nicht quantifizierbar. Dabei ist die Region im erdnahen Weltraum von großer Bedeutung, denn dort umkreisen Satelliten mit hoch empfindlicher Elektronik unseren Planeten.
Die Beschleunigungsmechanismen haben in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit durch die Forschung erhalten. Dagegen ist der Elektronenverlust nach wie vor rätselhaft. Eine Studie, die jüngst im Fachmagazin „Scientific Reports“ erschienen ist, klärt nun einige zentrale Fragen. So zum Beispiel, warum und wie Elektronen innerhalb nur weniger Stunden verschwinden. Die Studie hat zwei Erstautoren, Yuri Shprits vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ und Xing Cao, ein Doktorand der Universität von Wuhan in China. Xing Cao forschte während eines Gastaufenthalts am GFZ in der Sektion Magnetosphärendynamik zu diesen Fragen.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die so genannten EMIC-Wellen. Das Kürzel steht für „Electromagnetic Ion Cyclotron“ und beschreibt damit, wie Plasmawellen über unserer Erde von geladenen Teilchen (Ionen) erzeugt werden. Partikel werden durch Wellen gestreut und rasen entlang von Magnetfeldlinien in Richtung Atmosphäre. So entstehen in hohen Breiten Polarlichter.
Es gibt eine Reihe von theoretischen Berechnungen, die zeigen, dass die EMIC-Wellen auch relativistische Elektronen in Richtung der Lufthülle ablenken. Dem stehen jedoch tatsächliche Beobachtungen gegenüber, wonach nur noch schnellere Elektronen („ultra-relativistische“ Elektronen) durch die EMIC-Wellen beeinflusst werden, dokumentiert zum Beispiel in den Arbeiten von Yuri Shprits in Nature Physics (2013) und Nature Communications (2017). Relativistische Elektronen „sind immun gegen EMIC-Wellen“, sagt Shprits.
Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen? Yuri Shprits und Xing Cao haben die Plasmatemperatur in ihre Berechnungen einfließen lassen und so Theorie und Beobachtung in Übereinstimmung gebracht. In bisherigen Studien war man immer von einer Temperatur nahe null Kelvin ausgegangen. Mit den „hot plasma effects“, die bei höheren Temperaturen auftreten, gehen auch kinetische Effekte einher. Diese führen zum Verlust der ultra-relativistischen Elektronen in Richtung Erdatmosphäre, betreffen aber nicht die relativistischen Elektronen. Yuri Shprits sagt: „Unsere Studie wird viele Kolleginnen und Kollegen in der Astrophysik interessieren, denn sie ermöglicht eine quantitative Abschätzung der maximalen Elektronendichte in der Magnetosphäre.“ Diese Abschätzung lasse sich auch auf andere Magnetosphären anwenden, etwa jene um die äußeren Planeten unseres Sonnensystems oder um Exoplaneten.