Die zehn Kilometer lange Kreideküste von Jasmund auf Rügen wird fortwährend von Abbrüchen und Rutschungen geformt. Bislang wurden diese Ereignisse mit ergiebigen Regenereignissen in Zusammenhang gebracht. In einer mehr als zwei Jahre langen Studie haben Forschende um Michael Dietze vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ mithilfe von seismischen Sensoren und hoch aufgelösten Luftbildern ein viel detaillierteres Bild dieser Ereignisse gezeichnet. Die Studie ist in der Zeitschrift Journal of Geophysical Research erschienen.
Die Rügener Kreideküste mit dem 118 m hohen Königsstuhl ist ein Wahrzeichen des Nationalparks Jasmund. Das Kliff besteht aus mikroskopisch kleinen fossilen Kalkalgen und geht im Schnitt pro Jahr um mehrere Dezimeter zurück, wobei immer wieder große Teile abbrechen und gewaltige Erschütterungen auf dem Strand erzeugen. Diese Erschütterungen sind wie kleine Erdbeben, die die Forscher mithilfe von seismischen Sensoren aufzeichnen. Die Seismometer waren zwischen Frühjahr 2017 und 2019 entlang der Küste verteilt und erlaubten, zusammen mit Wetterstationsdaten und drohnenbasierten 3D-Modellen der Kliffoberfläche, routinemäßig essentielle Informationen über Abbrüche zu sammeln, die bisher nur in Ausnahmefällen zugänglich waren: sekundengenau den Zeitpunkt, die Dauer und die exakten Verläufe eines Abbruchs, die Lage und Volumina der Abbruchzone und Ablagerungen, sowie die Eigenschaften des Untergrundes zum Zeitpunkt der Ereignisse.
Die über 80 detektierten Abbrüche erlauben es den Forschenden, mehrere ineinander verzahnte Triebkräfte für die Abbrüche zu identifizieren. „Grundsätzlich ist die Durchfeuchtung des Kliffs entscheidend. Wasser wird aber nicht nur durch Regen auf das Kliff zugeführt, sondern auch durch Grundwasserzufluss und Kondensationswasser aus der Luft, vor allem in den Nachtstunden“, sagt Dietze. „Daher kommt es bevorzugt nachts zu Abbrüchen, aber auch direkt nach Regenereignissen sowie fast einen Tag später.“ Die Abbrüche treten vor allem im Winter auf, weil die Bäume in ihrer Winterruhe kein Wasser aus dem Boden aufnehmen, und dieser so weiträumig vernässen kann. Einen dramatischen Einfluss fanden die Forschenden bedingt durch überdurchschnittlich feuchte und trockene Sommer. 2017, als 126 % des üblichen Niederschlags fielen, konnten sie 65 Abbrüche erfassen. Im Dürresommer 2018 (51 % des üblichen Niederschlags) waren es hingegen nur 11 Ereignisse am Kliff.
Was diese Folgen von trockenen Sommern langfristig für das Kliff bedeuten bleibt abzuwarten. Grundsätzlich versorgen die vielen kleineren Abbrüche den Strand mit genug Sediment, um das Einschneiden der Wellen in den Klifffuß zu unterbinden. Fehlt dieses Sediment langfristig, wird das Kliff zunehmend an der Basis destabilisiert und empfänglich für große Abbrüche, die die gesamte Wand erfassen können. Die Forschenden haben die Sensoren im Frühsommer 2020 abgebaut und wollen jetzt auf der Nachbarinsel Hiddensee untersuchen, wie sich dort der direkte Einfluss von Wellen auswirkt. Zudem wird die Insel immer wieder von Erdbewegungen erschüttert, die sich quer über den nördlichen Teil ziehen, zuletzt im Winter 2019, als ein Teil um 20 cm auf hunderten Meter Länge entlang einer Verwerfung absackte.
Originalstudie: Dietze, M., Cook, K.L., Illien, L., Rach, O., Puffpaff, S., Stodian, I., Hovius, N (2020). Impact of nested moisture cycles on coastal chalk cliff failure revealed by multi seasonal seismic and topographic surveys. Journal of Geophysical Research: Earth Surface.
DOI: https://doi.org/10.1029/2019JF005487
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