Das Projekt "Astrogeodäsie" wird vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit 1,5 Millionen Euro gefördert. Durch das Projekt soll die Leistung des geodätischen ‚Radiointerferometrie auf langen Basislinien-Systems‘ (Very Long Baseline Interferometry VLBI) der nächsten Generation des VLBI-Global-Observing-Systems (VGOS) verbessert werden.
Warum die ‚Radiointerferometrie auf langen Basislinien‘ verbessern?
Seit langem beobachtet der Mensch Himmelsobjekte zur Navigation und Zeitmessung. Die Beobachtung weit entfernter Objekte ist nach wie vor das einzige Mittel, um die unregelmäßige Erdrotation mit hoher Präzision zu messen.
Die Erdrotation ist durch ihre Winkelgeschwindigkeit (Tageslänge) und durch die Position der Rotationsachse sowohl im Raum als auch in einem an die Erde gebundenen Rahmen gekennzeichnet. Ihre Schwankungen werden durch planetarische Kräfte, vor allem durch Sonne und Mond, und durch Massenänderungen in den Ozeanen, der Hydrosphäre, der Atmosphäre, dem Erdmantel und dem Erdkern verursacht. Diese Beobachtungen werden routinemäßig mit Hilfe der Very Long Baseline Interferometry (VLBI) durchgeführt, welche Schwankungen der Tageslänge bis auf wenige Millionstel Sekunden und die Ausrichtung der Rotationsachse bis auf wenige Milliardstel Grad genau misst.
Die mit VLBI gemessenen Schwankungen der Erdrotation sind eine wesentliche Unterstützung für viele Satellitenmissionen wie die globalen Navigationssatellitensysteme (GNSS), etwa das amerikanische GPS oder das europäische Galileo. Da es keine Ersatztechnik für VLBI gibt, liefert es unverzichtbare Informationen für eine Vielzahl von Aktivitäten in unserem täglichen Leben und ist natürlich auch die Grundlage der Forschung in vielen Bereichen der Geowissenschaften.
Neben der verbesserten Messung der Erdrotation ist es Ziel des globalen Raumbeobachtungsverfahrens VGOS, einen genauen und stabilen terrestrischen Referenzrahmen mit sehr hoher räumlicher Auflösung zu realisieren. Dieser Referenzrahmen kann helfen, dynamische Prozesse in der festen Erde, wie z.B. den globalen Wasserkreislauf, Erdbeben, plattentektonische Verformungen, Erdrutsche aber auch die Eisschmelze auf verschiedenen Zeitskalen zu überwachen. Diese Bedeutung wurde auch in einer kürzlich von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedeten Resolution gewürdigt und das Thema wird daher von der ‚UN Global Geospatial Information Management Initiative‘ und ihrem ‚Unterausschuss für Geodäsie‘ unterstützt und gefördert.
Angesichts dieser Bedeutung muss das System kontinuierlich verbessert werden. Dr. Minghui Xu, der nun die Förderung erhalten hat und das Projekt am GFZ sowie mit einem kleineren Anteil an der Technischen Universität Berlin aufbauen wird, hebt hervor, wie: "Da sowohl das Potenzial für Präzisionsmessungen größer geworden ist wie auch das Ziel von VGOS vorangeschritten, nämlich die Genauigkeit der Erdrotationsparameter und des terrestrischen Referenzrahmens auf einen Millimeter im globalen Maßstab zu verbessern, ist es nun erforderlich, ein neues Datenkalibrierungskonzept und -verfahren für dieses System zu entwickeln. Insbesondere müssen wir die Himmelsobjekte, die wir beobachten, mit einbeziehen."
Wie lässt sich die ‚Radiointerferometrie auf langen Basislinien‘ verbessern?
In den vergangenen 20 Jahren, in denen das VGOS-System entwickelt wurde, ging man davon aus, dass die Atmosphäre die wichtigste Fehlerquelle sei, und hat daher erhebliche Anstrengungen unternommen, um ihre Auswirkungen auf die Funksignale zu modellieren und zu korrigieren. In den letzten Jahren wurde jedoch - auch dank der Pionierarbeit von Minghui Xu - deutlich, dass die Herausforderung bei der Verwirklichung des VGOS-Ziels darin besteht, die tatsächliche Struktur der Himmelsobjekte, insbesondere der Quasare, zu verstehen, die im Idealfall nicht punktförmig sind.
Etwa 30 VGOS-Antennen wurden bzw. werden noch weltweit gebaut, und mit den fertigen Antennen regelmäßig Beobachtungen durchgeführt. Die Auswertung der VGOS-Daten ist dringend erforderlich, und glücklicherweise sind die Strukturbilder von Himmelsobjekten, die Minghui Xu aus diesen Daten gewonnen hat, eine hervorragende Grundlage für das kommende Forschungsprojekt. Das Astrogeodäsie-Projekt wird die drei Disziplinen Geodäsie, Astrometrie und Radioastronomie miteinander verbinden, um diese Herausforderung zu lösen. Das Projekt wird im Mai 2023 beginnen und fünf Jahre lang laufen. Eine neue Arbeitsgruppe unter dem Namen des Projekts wird in der Sektion 1.1, Geodätische Weltraumverfahren, eingerichtet.
Zur Person
Minghui Xu hat an der Universität Wuhan im Bachelor Geodäsie und am Shanghai Astronomical Observatory (SHAO) im Master Astrometrie studiert. Für seine Promotion forschte er mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes gemeinsam am SHAO und dem GFZ über VLBI. Er verteidigte seine Arbeit im Jahr 2015 und arbeitete anschließend als Postdoc am GFZ und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am SHAO. 2018 ernannte ihn die Technische Universität Berlin zum Mercator Stipendiaten. Nach einer kurzen Tätigkeit an der Huazhong University of Science and Technology in China wechselte er 2019 als Forschungsstipendiat an das 'Metsa̎hovi Radio Observatory' der Aalto Universität in Finnland und kehrte im September 2022 an das GFZ zurück.
Über den ERC Grant
Der ERC, der 2007 von der Europäischen Union gegründet wurde, ist die wichtigste europäische Förderorganisation für exzellente Pionierforschung. Er fördert kreative Forscherinnen und Forscher aller Nationalitäten und jeden Alters, die Projekte in ganz Europa durchführen. Der ERC bietet vier zentrale Förderprogramme an: Starting Grants, Consolidator Grants, Advanced Grants und Synergy Grants. Mit seinem zusätzlichen Programm für Proof of Concept Grants hilft der ERC den Geförderten, die Lücke zwischen ihrer bahnbrechenden Forschung und den frühen Phasen ihrer Kommerzialisierung zu schließen. Der ERC wird von einem unabhängigen Leitungsgremium, dem wissenschaftlichen Rat, geleitet.