Noch vor zwanzig Jahren galten Eisschilde, die derzeit etwa zehn Prozent der Erdoberfläche bedecken, als Wüsten frei von Leben und mit verringerter chemischer Verwitterung – und somit als unbedeutsamer Bestandteil des Kohlenstoffkreislaufs.
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Jemma Wadham von der University of Bristol hat nun eine Fülle an wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammengetragen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten Jahren dazu veröffentlicht wurden. Sie zeigen, dass Eisschilde nicht als gefrorener und passiver Bestandteil des Kohlenstoffkreislaufs der Erde betrachtet werden können. Vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam war Jonathan Hawkings an der Studie beteiligt, die heute in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde.
Jemma Wadham sagt, die Daten zeigten, dass die einzigartige Kombination von Umweltbedingungen unter den Eisschilden diese zu wichtigen ‚Reaktoren’ im Kohlenstoffkreislauf der Erde mache. „Hier wird eine große Menge Gestein durch sich bewegendes Eis zermahlen, flüssiges Wasser ist reichlich vorhanden und Mikroben können trotz unwirtlicher Bedingungen in Schmelzzonen gedeihen. Die Eisschilde erodieren ihr Grundgestein, kälteangepasste Mikroben verarbeiten dieses weiter und fördern die Freisetzung von Nährstoffen. Schmelzwasser führt diese Nährstoffe in die Ozeane und regen den Auftrieb zusätzlicher Nährstoffe aus der Tiefe an den Rändern der Gletscher an. Die Nährstoffe unterstützen die Fischerei und befördern den Entzug von Kohlendioxid aus der Atmosphäre.“
Co-Autor Rob Spencer von der Florida State University: „Eisschilde sind außerdem sehr effektiv bei der Speicherung großer Mengen an Kohlenstoff, weil sie über Meeressedimenten, Böden und Vegetation wachsen. Allein das antarktische Eismeer speichert potenziell bis zu 20.000 Milliarden Tonnen organischen Kohlenstoff – schätzungsweise ist das zehnmal mehr als der Permafrost der nördlichen Hemisphäre speichert.“
Ein Teil dieses Kohlenstoffs werde in Schmelzwasser freigesetzt und treibe marine Nahrungsnetze an. Der in tiefen Teilen von Eisschilden zurückgelassene Kohlenstoff werde durch mikrobielle oder geothermische Aktivität in Methangas umgewandelt, das das Potenzial habe, als festes Methanhydrat bei niedrigen Temperaturen und hohem Druck gespeichert zu werden.
„Wir haben keine Ahnung, wie stabil das potenziell entstehende Methanhydrat in einem sich erwärmenden Klima sein würde, wenn die Eisschilde dünner werden“, erklärt Rob Spencer. „Aus früheren Phasen des Eisschwundes in Europa gibt es Hinweise darauf, dass sich unter den Eisschilden Methanhydrat bildet, das bei abnehmendem Eis schnell freigesetzt werden kann.“
Die Studie wirft auch einen Blick zurück zum letzten Übergang von den glazialen (kalten) zu den interglazialen (warmen) Bedingungen der Gegenwart. Die Forschenden betrachten Analysen von Sedimentbohrkernen des Ozeanbodens in der Antarktis, die die Förderung von Nährstoffen (Eisen) mittels antarktischer Eisberge mit der sich ändernden Produktivität des Südpolarmeers – einer wichtigen globalen Senke für Kohlenstoff – verbinden könnten.
Co-Autor Jon Hawkings vom GFZ Potsdam und der Florida State University, sagt: „Eine wichtige Möglichkeit, wie das Südpolarmeer der Atmosphäre Kohlenstoff entzieht, ist das Wachstum von Phytoplankton in seinen Oberflächengewässern. Diese winzigen Meeresbewohner sind jedoch durch die Verfügbarkeit von Eisen begrenzt. Wir dachten immer, dass atmosphärischer Staub als Eisenlieferant für diese Gewässer wichtig sei, aber wir wissen heute, dass Eisberge eisenreiche Sedimente enthalten, die sie beim Schmelzen in das Meerwasser abgeben.“
Was man in den Ozeankernen der Subantarktis sehe, sei, dass mit der Klimaerwärmung am Ende der letzten Eiszeit die Menge an Eisbergsediment (und damit Eisen) im subantarktischen Südpolarmeer ebenso sank wie die Produktivität des Meeres, während gleichzeitig der CO2-Gehalt anstieg. Obwohl es viele mögliche Ursachen für die CO2-Zunahme gebe, deuteten die Daten darauf hin, dass die sinkende Eisenversorgung des Südpolarmeers über Eisberge ein wichtiger Faktor gewesen sein könnte, sagen die Forschenden.
Wichtig an dieser Studie sei, dass sie die Arbeiten von Hunderten von WissenschaftlerInnen aus der ganzen Welt, die in zwei Jahrzehnten veröffentlicht wurden zusammenführe, und so zeige, dass man Eisschilde in Modellen des Kohlenstoffkreislaufs und unter Szenarien des Klimawandels nicht ignorieren könne.
Diese Studie entstammt einer Kooperation zwischen der University of Bristol (UK), der University of Leeds (UK), der Florida State University und der University of California, Riverside (USA), dem Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam (GFZ) und dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (Deutschland), der Memorial University und der Simon Fraser University (Kanada). Die englische Pressemitteilung der Kollaboration finden Sie hier.
Originalstudie:
Wadham, J, Hawkings, J., Tarasov, L., Gregoire, L., Spencer, R.G.M., Gutjahr, M., Ridgwell, A. and Kohfeld, K., 2019. Ice sheets matter for the global carbon cycle. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-019-11394-4