Zusammenfassung
Die ersten Messungen mit dem neuen hochauflösenden Transmissionselektronenmikroskop (TEM) der PISA-(Potsdam Imaging and Spectral Analysis)-Facility haben gezeigt, welche wichtigen Beiträge ein solches hochmodernes Instrument für die Geowissenschaften leisten kann. TEM-Experte Vladimir Roddatis aus der GFZ-Sektion 3.5 Grenzflächen-Geochemie ist Co-Autor einer kürzlich im Fachmagazin Nature Astronomy erschienenen Studie. Sie untersucht die chemischen Verwitterungsprozesse eines zu Chondriten analogen Minerals in ammoniakreichen wässrigen Lösungen, um Bedingungen zu simulieren, die auf eisigen Himmelskörpern wie den mittelgroßen Monden von Saturn und Uranus oder transneptunischen Objekten herrschen könnten.
Bislang war unklar, dass und wie solche Prozesse auf eisigen Monden ablaufen können, die aus einer Mischung aus gefrorenem Wasser und Gestein bestehen. Neue Einsichten hierzu lieferte nun ein Team unter Leitung des ISTerre (CNRS, Université Grenoble Alpes) mit Beteiligung des LEPMI (CNRS, Université Grenoble Alpes, Grenoble INP), LPG (CNRS, Nantes Université, Université d'Angers, Le Mans Université) und des GFZ (Deutsches GeoForschungsZentrum Potsdam).
Chemische Verwitterung auch unterhalb des Gefrierpunkts von Wasser möglich
Anhand von Langzeit-Laborexperimenten an Olivin-Kristallen wiesen die Wissenschaftler:innen nach, dass eine kontinuierliche chemische Verwitterung auch bei Temperaturen von unter Null Grad Celsius stattfinden kann. Entscheidend hierfür ist ihrer Studie zufolge die Existenz eines dünnen Films aus flüssigem Wasser, der die im Eis eingeschlossenen Gesteinskörper umhüllt. Er ist mit chemischen Substanzen gesättigt, die ihn vor dem Einfrieren schützen.
Die Forschenden haben in chemischen Reaktoren die relevanten Bedingungen auf eisigen Himmelskörpern nachgestellt und so die Wechselwirkung von Mineralen mit Eis und ammoniakreichen Lösungen bei Temperaturen zwischen -20 und +22°C untersucht, über einen Zeitraum von über 440 Tagen. Hierfür nutzten sie das magnesium- und eisenhaltige Silikatmineral Olivin, das wesentlicher Bestandteil vieler Himmelskörper und auch von Erdkruste und oberem Erdmantel ist, und maßen, wie viel Magnesium und Silizium sich aus den Olivin-Kristallen in die umgebende Flüssigkeit gelöst hatte.
Hochaufgelöste TEM-Messungen liefern entscheidende Einsichten in die Auflösungsprozesse an Gesteinsoberflächen auf atomarer Skala
„Einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Verwitterungsprozesse an der Oberfläche der Olivin-Körnchen leisteten die Untersuchungen mit modernsten Methoden der analytischen Transmissionselektronenmikroskopie am GFZ, die die strukturellen und chemischen Eigenschaften der Mineralien und ihrer Umgebung in atomar genauer Skala abbilden kann“, sagt Roland Hellmann von der ISTerre in Grenoble und einer der Hauptautoren der Studie.
Die Messungen zeigen, dass die Olivin-Kristalle nach mehr als einem Jahr Reaktion bei -20 Grad Celsius an ihrer Oberfläche nur eine sehr dünne amorphe, also ungeordnete, nicht mehr kristalline Übergangsphase entwickelt hatten – Nachweis eines wässrigen Veränderungsprozesses. Gleichzeitig wurden mit Hilfe der Raman-Spektroskopie flüssiges Wasser, Ammoniak und Karbonat-Ionen in der Dünnschicht an den Kristalloberflächen nachgewiesen. Das bestätigt die Anreicherung von Frostschutzmitteln in der wässrigen Dünnschicht, welche eine Olivin-Verwitterung bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ermöglichen.
TEM-Experte Vladimir Roddatis vom GFZ betont: „Nur das neue Thermo Fisher Scientific Themis Z Transmissionselektronenmikroskop, das mit seinem Auflösungsvermögen im Sub-Ångström-Bereich auch einzelne Atome abbilden kann, und die damit verbundene extrem präzise Präparation der Proben durch fokussiertes Ionenstrahlfräsen haben diese Ergebnisse ermöglicht.“
„Die Ergebnisse sind sowohl überraschend als auch von großer Tragweite, da viele Modelle der planetaren Verwitterung davon ausgehen, dass höhere Temperaturen als die der Eisschmelze, also mehr als Null Grad Celsius erreicht werden müssen“, sagt Roland Hellmann. Auch viele andere Eiskörper im äußeren Sonnensystem könnten flüssiges Wasser aufweisen und damit potenziell günstige Bedingungen für solche Verwitterungsreaktionen, von denen nun klar ist, dass sie ein geologisch schneller Prozess sind.
Über das Messgerät
Das Themis Z 3.1-Transmissionselektronenmikroskop ist Teil der PISA-(Potsdam Imaging and Spectral Analysis)-Einrichtung, die zur Sektion 3.5 Grenzflächen-Geochemie gehört. Dieses Mikroskop wurde aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und des Landes Brandenburg finanziert. Die PISA-Anlage vereint verschiedene hochmoderne Bildgebungs- und Spektralanalysegeräte und Probenvorbereitungseinrichtungen, die für eine Vielzahl von Anwendungen in der Geo-, Material- und Bioforschung genutzt werden.
Originalpublikation:
Zandanel, A., Hellmann, R., Truche, L. et al. Geologically rapid aqueous mineral alteration at subfreezing temperatures in icy worlds. Nat Astron (2022). DOI: 10.1038/s41550-022-01613-2
Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Vladimir Roddatis
Sektion 3.5 Grenzflächen-Geochemie
PISA-Facility
Helmholtz-Zentrum Potsdam
Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Telegrafenberg
14473 Potsdam
Tel.: +49 331 288-27567
E-Mail: vladimir.roddatis@gfz-potsdam.de