Welche physikalischen Mechanismen genau für die Erdbebenaktivität in den mittleren Tiefen (50-300 km) von Subduktionszonen verantwortlich sind, ist wissenschaftlich umstritten. Doch ein Verständnis dafür ist immens wichtig, denn die Prozesse innerhalb abtauchender ozeanischer Platten verursachen die größten Erdbeben weltweit. Constanza Rodriguez Piceda hat daher mit Kolleginnen und Kollegen des GFZ (Sektion ‚Sedimentbeckenmodellierung‘ und ‚Seismologie‘) sowie der Universität Potsdam geologische, seismologische und geodätische Beobachtungsdaten und -modelle aus dem südlichen Teil der zentralen Anden miteinander kombiniert. Insbesondere die Aktivität im Innern und an der Oberfläche der abtauchenden Platten soll besser verstanden werden. Forschungsfragen sind unter anderem, inwieweit die seismische Aktivität dort beispielsweise vom Hydratationsgrad abhängt oder aber mit Spannungsänderungen im Innern der Platte zu tun hat. Die Studie ist in Nature Communications Earth and Environment erschienen.
Seismische Aktivität bis in große Tiefen
In sogenannten Subduktionszonen tauchen die im Verhältnis schwereren ozeanischen Erdplatten unter kontinentalen Platten hinweg langsam in den Erdmantel ab. Das Gestein wird dabei teilweise aufgeschmolzen. Der Subduktionsprozess ist Hauptursache für die außerordentliche seismische Gefährdung der betroffenen Regionen. Das ist der Grund, warum beispielsweise die gesamte Westküste Südamerikas oder auch die Region entlang des Sunda-Bogens in Indonesien von besonders schweren Erdbeben (Magnitude >7) betroffen ist. Seismische Aktivität kann sehr weit − bis zu 800 km tief − in den Erdmantel reichen. Das ist bemerkenswert, weil die in diesen Tiefen herrschenden Drücke und hohen Temperaturen eigentlich zu duktiler Deformation führen müssten. Diese würde sich durch allmähliche Verformungen auszeichnen, wobei das Gestein in sich verbunden bliebe, nicht bräche und deshalb keine Beben verursachen würde. Jedoch kommt es den Beobachtungen zufolge eher zur Sprödverformung des Gesteins, zu Brüchen und ruckartigen Prozessen, die Messgeräte noch in großen Tiefen als Erdbeben aufzeichnen können. An der Oberfläche ist diese seismische Aktivität meist nicht mehr spürbar.
Physikalische Mechanismen werden kontrovers diskutiert
Welche physikalischen Mechanismen genau für die Seismizität in mittleren Tiefen von Subduktionszonen (50-300 km) verantwortlich sind, ist umstritten. Einige wissenschaftliche Studien führen fluidkontrollierte Prozesse als ursächlich für Gesteinsversagen an. Folglich wird erwartet, dass Mantelbereiche mit einem höheren Hydratationsgrad seismisch aktiver sind als trockene Bereiche. Andere Studien deuten darauf hin, dass die Seismizität auf Spannungsänderungen im Innern der Platte zurückzuführen ist, ausgelöst durch die Unterschiede im Neigungswinkel der subduzierenden Platte beim Eintauchen in den tiefen Erdmantel.
Untersuchungsgebiet
Der südliche Teil der zentralen Anden im Westen Südamerikas stellt eine ideale Umgebung dar, um die Ursachen für die seismische Aktivität der Platten näher zu untersuchen. Hier wechselt der Subduktionswinkel von flach (<5°) im Norden zu steil (30°) im Süden und die Region war Schauplatz zahlreicher großer Erdbeben, wie zwei starke Beben in Chile verdeutlichen: das Erdbeben mit Magnitude 8,8 bei Maule im Jahre 2010 oder das Erdbeben mit Magnitude 8,2 bei Illapel 2015. Ein weiteres bemerkenswertes Charakteristikum dieser Region ist das Auftreten von Seismizität in der abtauchenden Platte und zwar bis zu 300 Kilometer vom Atacama-Graben (Tiefseerinne) entfernt, der Subduktionszone im pazifischen Ozean.
Hydratisierte Regionen seismisch aktiver
Um die Mechanismen hinter diesen Erdbebenaktivitäten besser zu verstehen, hat Constanza Rodriguez Piceda mit Kolleginnen und Kollegen der Sektionen 4.5 ‚Sedimentbeckenmodellierung‘ und 2.4 ‚Seismologie‘ sowie der Universität Potsdam geologische, seismologische und geodätische Beobachtungen in Modelle integriert. Dazu wurden Daten aus seismischer Tomographie genutzt, um Regionen unterschiedlicher Hydratation des Mantels innerhalb der ozeanischen und der überlagernden Platte zu kartieren und diese Regionen mit der Verteilung der Seismizität zu vergleichen. Die Wissenschaftler:innen fanden heraus, dass der Kristallwasseranteil im Mantel räumlich sehr unterschiedlich ist und dass dies die räumliche Verteilung der Seismizität beeinflusst, wobei hydratisierte Regionen seismisch aktiver sind. In Mantelregionen mit geringem Kristallwasseranteil hängt das Auftreten seismischer Aktivität wiederum vor allem von der Geometrie der subduzierten Platte ab, wobei die Seismizität vermehrt dort auftritt, wo der Neigungswinkel von flach zu steil wechselt. In dieser Studie wurden erfolgreich thermomechanische und geologische Ansätze innovativ kombiniert, um mögliche Erklärungen für das seismische Verhalten in dieser Subduktionszone weiter einzugrenzen.
Veröffentlichung:
Rodriguez Piceda, C., Gao, Y., Cacace, M., Scheck-Wenderoth, M., Bott [Sippel], J., Strecker, M., Tilmann, F. (2023): The influence of mantle hydration and flexure on slab seismicity in the southern Central Andes. - Communications Earth & Environment, 4, 79.
https://doi.org/10.1038/s43247-023-00729-1
Abbildungen:
Geschwindigkeitsverhältnis unterschiedlicher seismischer Wellen
Das Geschwindigkeitsverhältnis unterschiedlicher seismischer Wellen (Vp/Vs; Blau-Rot-Farbspektrum) gibt Auskunft über die Hydratisierung (Wassergehalt innerhalb der Minerale) in den Gesteinen des Erdmantels der Subduktionszone, die hier entlang der Grenzfläche der subduzierten Platte angeschnitten wurde. Punkte unterschiedlicher Violett-Farbintensität markieren Erdbeben in unterschiedlichen Tiefen entlang der Plattenoberfläche.
Quelle: CCBY 4.0 Rodriguez Piceda et al (2023); Communications Earth & Environment; doi.org/10.1038/s43247-023-00729-1
Link: https://media.gfz-potsdam.de/gfz/wv/pm/23/20230324_Subduction_CCBY.jpg
Schema der Subduktion
Die Abbildung zeigt einen Profilschnitt, der die Subduktion einer ozeanischen Kruste unter einer kontinentalen Kruste darstellt. Die ozeanische Kruste ist dichter und somit schwerer als die kontinentale Kruste, daher wird sie beim Aufeinandertreffen unter die kontinentale Kruste subduziert. Dieser Prozess führt zur Entstehung von Tiefseegräben, Vulkanen und Erdbeben.
Quelle: dwi – stock.adobe.com
Link: https://media.gfz-potsdam.de/gfz/wv/pm/23/20230324_Subduktion_AdobeStock-579567869.jpg