Im Verständnis des globalen geothermischen Wärmeflusses waren Grönland und der umliegende Meeresboden bisher nahezu ein blinder Fleck, denn entsprechende Datengrundlagen fehlten. Jetzt haben Wissenschaftler:innen alle verfügbaren ebenso wie nicht direkt verfügbaren Daten zum Wärmefluss ausfindig gemacht und damit eine Grundlage geschaffen, um zum Beispiel die grönländische Erdwärme als alternative Energiequelle zu nutzen oder auch, um die Größe und den Wirkfaktor, die der Wärmefluss beim Abschmelzen der Eiskappen darstellt, abzuschätzen.
Der Untergrund Grönlands ist kälter als bisher angenommen. Doch auch wenn der geothermische Wärmefluss geringer zu sein scheint als bisher vermutet, ändert dies nichts an der Geschwindigkeit, mit der der grönländische Eisschild schmilzt.
Dies sind zwei der Schlussfolgerungen einer Arbeit, die ein internationales Team von Forschenden unter der Leitung des Geologischen Dienstes von Dänemark und Grönland (GEUS) soeben in der Zeitschrift Earth System Science Data (ESSD) veröffentlicht hat. Das Team hat eine neue Online-Datenbank und ein Wärmestrommodell mit allen verfügbaren geothermischen Wärmestromdaten für die Region zusammengestellt. Dazu musste es viel "graue Literatur" durchforsten. Gemeint sind Beobachtungen, die die bisher sehr datenarmen arktischen Wärmestrommodelle ergänzen.
Die Forschenden nutzten eine solche Beobachtungsdatenbank, um mit Hilfe von maschinellen Lernverfahren eine neue räumliche Karte des Wärmeflusses in und um Grönland zu erstellen. Der mittlere Wärmestrom auf der Grundlage von 129 neuen Messungen mit insgesamt 419 Datenpunkten beträgt 44 mW/m2 (Milliwatt pro Quadratmeter) und liegt damit deutlich unter den Schätzungen früherer Modelle. "Die neue Datenbasis ist eine signifikante Verbesserung für diese Region und ein wichtiger neuer Beitrag zur globalen Wärmestromdatenbank", sagt GFZ-Forscher Sven Fuchs aus der Sektion Geoenergie, der die neue Arbeit mitverfasst hat und die „Global Heat Flow Database“ am GFZ betreut.
Hotspots für geothermische Energie
Obwohl der mittlere Wärmestrom unter Grönland kälter war als bisher angenommen, war hingegen der Wärmestrom in den Küstengebieten in der Tat viel wärmer als erwartet. "In diesem Gebiet an der Westküste Grönlands ist der Wärmefluss dreimal so hoch wie weiter im Landesinneren, so dass es sinnvoll ist, zu schauen, ob die geothermische Energie für die dortigen Gemeinden genutzt werden kann", sagt der Hauptautor und leitende Wissenschaftler William Colgan von der Abteilung Glaziologie und Klima der GEUS.
Ein dynamisches Gebiet
William Colgan beschreibt das untersuchte Gebiet näher: "Im Süden Grönlands befindet sich ein sehr alter, stabiler nordatlantischer Kraton, der recht kühl ist, und direkt daneben liegen der Mittelatlantische Rücken und Island mit all seinen vulkanischen Aktivitäten. Ganz zu schweigen von dem Einfluss des Inlandeises. All das ergibt eine geothermisch merkwürdige Region, die sich wirklich ein wenig vom Rest der Welt unterscheidet. Dieses Gebiet ist mit Sicherheit geothermisch gesehen eine regelrecht ‚verrückte‘ Zone und daher wichtig zu erforschen."
Dass der geothermische Wärmestrom anscheinend geringer ist als erwartet, ändert nichts an der Geschwindigkeit, mit der das Eisschild schmilzt, fügt Colgan hinzu. Ein Großteil der heutigen Schmelze spiegelt die jüngste Erwärmung an den Grenzen zwischen Eis und Atmosphäre sowie zwischen Eis und Ozean wider. Der geothermische Wärmestrom an der Grenze zwischen Eis und Lithosphäre ändert sich nicht schnell, ist jedoch wichtig für das Verständnis der Stabilität des Eisschildes an der Schnittstelle zwischen Eis und Meeresboden.
Einen umfassenden Überblick erstellt
Ursprünglich interessierten sich William Colgan und seine Kolleg:innen für den geothermischen Wärmestrom wegen seiner Rolle bei der Dynamik des schmelzenden Eisschilds. Bei der Suche nach Wärmestromdaten aus Grönland wurde schnell klar, dass es sich um ein eher unterentwickeltes Gebiet handelt. Oder zumindest schlecht sortiert und organisiert: Verschiedene Akteure haben im Laufe der Zeit in und um Grönland Daten über geothermische Wärmeströme gesammelt, aber alle mit individuellen Verwendungszwecken. Die Öl- und Gasunternehmen haben einige Daten gesammelt, um Gas- und Ölvorkommen unter der Erde zu lokalisieren. Es gibt auch die Forschenden zu Permafrost und in der Glaziologie, die den Wärmefluss als wichtige Randbedingung in ihren Modellen verwenden. Sven Fuchs sagt: „Mehr oder weniger alle in den Geowissenschaften nutzen den Wärmefluss in irgendeiner Form, aber bisher hat offenbar niemand das Bedürfnis verspürt, einen umfassenden Überblick zu erstellen.“
Eine gemeinsame Leistung: 16 Institutionen aus acht Ländern
So wurde aus dem ursprünglichen Team von GEUS-Glaziolog:innen ein Team von Forscher:innen aus verschiedenen Disziplinen in 16 Institutionen in acht verschiedenen Ländern. Eine gemeinsame Anstrengung, die dazu führte, dass das neue geothermische Wärmestrommodell das erste ist, das alle verfügbaren Offshore- und Onshore-Daten, einschließlich der Daten unterhalb des Eisschildes, in Grönland umfasst.
Mit 419 Datenpunkten, die für das Gebiet registriert wurden, ist die Datenabdeckung für ein so großes Gebiet wie Grönland jedoch immer noch sehr gering. Grönland weist eine Vielzahl von geologischen Provinzen und physikalischen Prozessen auf, die zu erheblichen räumlichen Schwankungen des Wärmeflusses beitragen.
Um die räumliche Auflösung weiter zu erhöhen, prüft das Team derzeit die Möglichkeit, eine Wärmesonde anzuschaffen, die von Forschungsschiffen, die in der Arktis im Einsatz sind, abgesetzt werden kann. "Dies würde es uns ermöglichen, die Karte, die immer noch recht spärlich aussieht, weiter zu vervollständigen", sagt der Hauptautor.
Daten und Publikation:
Publikation: ‘Greenland Geothermal Heat Flow Database and Map’
https://doi.org/10.5194/essd-2021-290
Die Datenbank der In-situ-Messungen und das gerasterte Wärmestrommodell sowie andere unterstützende Materialien sind im GEUS Dataverse frei verfügbar (https://doi.org/10.22008/FK2/F9P03L; Colgan and Wansing, 2021)
Mitwirkende Institutionen:
- Geological Survey of Denmark and Greenland, Copenhagen, Denmark
- Institut für Geowissenschaften, Universität Kiel, Kiel, Deutschland
- Dalhousie University, Halifax, Canada
- Department of Civil Engineering, Technical University of Denmark
- National Space Institute, Technical University of Denmark, Lyngby, Denmark
- DHI Sverige, Stockholm, Sweden
- Cryospheric Sciences Lab, NASA Goddard Space Flight Center, Greenbelt, USA
- Icelandic Geosurvey, Reykjavik, Iceland
- Faculty of Built Environment, Tampere University, Tampere, Finland
- Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum, Potsdam, Deutschland
- Swedish Nuclear Fuel and Waste Management Company, Stockholm, Sweden
- Center for Earth Observation Science, University of Manitoba, Winnipeg, Canada
- Department of Geography, University of Copenhagen, Copenhagen, Denmark
- Planetary and Magnetospheres Laboratory, NASA Goddard Space Flight Center, Greenbelt, USA
- Department of Geoscience, Aarhus University, Aarhus, Denmark
- Asiaq – Greenland Survey, Nuuk, Greenland
Wissenschaftliche Kontakte:
William Colgan (GEUS)
Department of Glaciology and Climate
Geological Survey of Denmark and Greenland (GEUS)
Email: wic@geus.dk
Telephone: +45 9133 3814
Agnes Wansing (CAU)
Institut für Geowissenschaften
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
Email: agnes.wansing@ifg.uni-kiel.de
Telephone: +49 176 45724022
Sven Fuchs
Helmholtz Zentrum Potsdam
Email: fuchs@gfz-potsdam.de
Telephone: +49-331-2881713
Pressekontakte:
Johanne Uhrenholt Kusnitzoff
Geological Survey of Denmark and Greenland (GEUS)
Email: jku@geus.dk
Tobias Hahn
Kiel Marine Science (KMS)
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
Email: thahn@kms.uni-kiel.de
Josef Zens
Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Helmholtz-Zentrum Potsdam
Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Telegrafenberg
14473 Potsdam
Tel.: +49 331 288-1040
E-Mail: josef.zens@gfz-potsdam.de